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V. Rassenpolitik
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Im Einklang mit der vorherrschenden wissenschaftlichen Weisheit zur Jahrhundertwende strebten viele deutsche Biologen, Anthropologen und Ärzte danach, genetische Defekte auf die eine oder andere Weise aus der Bevölkerung auszumerzen. Zeitgenössisches Denken über „Rassenhygiene“ beeinflussten Hitler und andere führende Nazis, die rassischen Antisemitismus mit größeren Plänen zur Säuberung der deutschen oder „arischen“ Bevölkerung verbanden (13). Sie betrachteten die Juden als die größte und gefährlichste Ursache von rassischer „Verunreinigung“, Krankheiten und Kriminalität. Darüber hinaus glaubten sie, die Juden seien zur Änderung unfähig, da ihre Eigenschaften und ihr Verhalten angeblich in ihrem Blut veranlagt seien. Doch auch andere Nationalitäten und selbst bestimmte Teile der deutschen Bevölkerung wurden als genetisch minderwertig, unrein oder beides angesehen. Einflussreiche Wissenschaftler aus den Bereichen der Biomedizin und der Sozialwissenschaften hatten bereits die Grundsteine dieser Ideen gelegt und zu einem gewissen Grad sogar deren Anwendung durch die Nazis unterstützt.

Kurz nachdem sie an die Macht gekommen waren, setzten die Nazis eine Reihe von Maßnahmen in die Tat um, die Deutschland auf den Weg zu einer Rassegemeinschaft bringen sollten, indem sie „ungesunde“ oder „gefährliche“ Elemente der Bevölkerung aussonderten oder beseitigten und diejenigen angeblich arischer Abstammung förderten (14). Zahlreiche Faktoren – darunter wissenschaftliche Experimente, das Wetteifern rivalisierender Behörden, äußere Zwänge, bewusste Vorausplanung und militärische Erfolge – trugen während des Krieges zur Eskalation der Verfolgung, zu Massenmord und Genozid bei (15).

Historiker haben lange über die Zeitplanung und Motive spezifischer rassenpolitischer Maßnahmen der Nazis diskutiert. Eine frühe Studie (ursprünglich 1961 veröffentlicht, seitdem jedoch erweitert und revidiert) beschreibt den Anteil zahlreicher Regierungs-, Partei und Wirtschaftseinrichtungen an einem Prozess, der 1933 begann und organisch zu dem anwuchs, was als Holocaust bekannt wurde (16). Eine weitere wichtige Arbeit untersucht die Wechselwirkung verschiedener Nazi-Programme der Eugenik, des Massenmords und des Genozids (17). Die Forschung zu diesem Thema ist schwierig, da einige offizielle Entscheidungen niemals zu Papier gebracht wurden; in anderen Fällen wurden die Dokumente vernichtet. Zudem enthüllt die offizielle Korrespondenz selten die tatsächlichen Gründe für einzelne Aktionen, und die Bestimmung von Zielen bleibt oft ähnlich unklar. Die Ausgrenzung der Zielpersonen und empfundenen Feinde der Nazis – und später ihre Vernichtung – sollte ordentlich, mit möglichst wenig Echo in Deutschland geschehen.



(13) Robert Proctor, Racial Hygiene: Medicine under the Nazis. Cambridge: Harvard University Press, 1988.
(14) Michael Burleigh und Wolfgang Wippermann, The Racial State: Germany 1933-1945. Cambridge: Cambridge University Press, 1991.
(15) Eine neuere Bewertung der Veränderungen während des Krieges bietet z.B. Christopher Browning, Die Entfesselung der „Endlösung“. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939-1942. Mit einem Beitrag von Jürgen Matthäus, übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt. Berlin: Propyläen, 2003.
(16) Raul Hilberg, The Destruction of the European Jews (1961), dritte Ausgabe. New Haven: Yale University Press, 2003.
(17) Henry Friedlander, The Origins of Nazi Genocide: From Euthanasia to the Final Solution. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1995 (dt.: Henry Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung, übersetzt von Johanna Friedman, Martin Richter und Barbara Schaden. Berlin: Berlin-Verlag, 1997).

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