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4. Wirtschaft und Arbeit
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

In der Zeit von 1815 bis 1866 setzte sich in den deutschen Staaten allmählich die freie Marktwirtschaft durch. Hemmnisse wie die grundherrschaftlichen Rechte in der Landwirtschaft, das Zunftwesen im Handwerk und Schutzzölle im internationalen Handel wurden abgebaut. Gegen diese Änderungen regte sich jedoch starker Widerstand. Gegner verschiedener Aspekte der freien Marktwirtschaft wehrten sich heftig gegen die wirtschaftliche Liberalisierung.

Großbritannien war das große Vorbild für die Verfechter der freien Marktwirtschaft im 19. Jahrhundert. Auch der bekannteste Befürworter des Freihandels in Deutschland in der Zeit zwischen 1815 und 1866 war Engländer, John Prince-Smith (1809-1874), der 1831 in die preußische Stadt Elbing zog, um dort Englisch zu unterrichten, und schließlich preußischer Staatsbürger wurde. Prince-Smith war einer der Begründer des Kongresses Deutscher Volkswirte, der als Debattierklub und Lobby-Gruppe energisch für den Freihandel eintrat. Im folgenden sind Auszüge aus von Prince-Smith 1843 und 1845 verfassten Aufsätzen über Freihandel und Protektionismus wiedergegeben, in denen er die Vorzüge des Freihandels hervorhob und darauf hinwies, wie wichtig die Nichteinmischung der Regierung in die Wirtschaft sei. Prince-Smith legte Wert darauf, sein Eintreten für den freien Markt sowohl auf die führenden Köpfe der preußischen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts zu beziehen (die tatsächlich Fürsprecher des Freihandels waren) als auch mit dem Bau der ersten Eisenbahnen und der Entwicklung der Fabrikindustrie in Mitteleuropa in den 1840er-Jahren in Verbindung zu bringen. In diesem Abschnitt findet sich auch ein Auszug aus einer späteren Abhandlung von 1863 über die Natur des Marktes, in der Prince-Smith einen ganz anderen Aspekt wirtschaftlicher Entwicklung diskutierte: Er vertrat darin die Auffassung, dass ein freier Markt das wirtschaftliche Wachstum erhöhen und die soziale Lage der Arbeiterklasse verbessern werde.

Bei der Einführung der freien Marktwirtschaft in Deutschland im 19. Jahrhundert ging es um zwei verschiedene, deutlich zu unterscheidende Arten von Freiheit. Dabei traten die Befürworter der einen nicht immer auch für die andere ein. Handelsfreiheit meinte die Abschaffung von Zöllen und Einfuhrbeschränkungen sowie weiterer Hindernisse des Warenverkehrs zwischen den einzelnen Staaten. Gewerbefreiheit bedeutete die ungehinderte Ausübung jeglichen Gewerbes oder Handwerks und, damit eng verbunden, die Niederlassungsfreiheit. Hauptgegner der Gewerbefreiheit waren die Zünfte, deren Mitglieder entschlossen waren, die Zahl der zur Ausübung eines Handwerks Berechtigten zu begrenzen und die Ausübung der Handwerkstätigkeit streng zu reglementieren. Die deutschen Stadtstaaten Frankfurt, Hamburg, Bremen und Lübeck waren Hochburgen der Zünfte. Ihre Wirtschaft hing weitgehend vom internationalen Handel ab, und ihre Regierungen befürworteten darum entschieden die Handelsfreiheit, lehnten jedoch die Gewerbefreiheit generell ab. [Karl] Viktor Böhmert (1829-1918), Ökonom, Wirtschaftsjournalist und aktives Mitglied des Kongresses Deutscher Volkswirte, war in den späten 1850er-Jahren Herausgeber des Bremer Handelsblatts. (Später wurde Böhmert zum Professor an der Technischen Hochschule Dresden und zum Direktor des Königlich Sächsischen Statistischen Bureaus berufen.) In seinem 1858 erschienen Buch über die Gewerbefreiheit, das hier in Auszügen wiedergegeben wird, griff er die Bremer Befürworter des Zunftwesens an. Böhmert führte Aussagen von Vertretern der Zünfte an, die der Auffassung waren, die Zünfte stärkten die Mittelschicht, verhinderten das Anwachsen eines verarmten Proletariats und höben die „moralische Haltung“ von Handwerkern und Arbeitern. Er selbst behauptete, dass genau das Gegenteil der Fall sei: Die Gewerbefreiheit ermögliche jenen erstrebenswerten Zustand während die Vorschriften des Zunftwesens ihn verhinderten.

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