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2. Politik und Wirtschaft
Druckfassung

1. Anfänge: Krieg und Revolution   |   2. Politik und Wirtschaft   |   3. Kultur   |   4. Überblick   |   5. Weiterführende Literatur


Die politische und wirtschaftliche Geschichte der Weimarer Republik lässt sich in drei Phasen einteilen: 1919-23, 1924-29 und 1930-33. Von 1919-23 war die Republik durch die Linke und das Zentrum bestimmt. Die gesellschaftlichen und politischen Errungenschaften der Revolution blieben erhalten, wenngleich viele von ihnen durch die Inflation weggeschwemmt wurden. Die Abwertung der Währung Deutschlands machte dessen Waren auf dem Weltmarkt billiger, was zu einer allgemeinen Wirtschaftsexpansion führte. Doch im turbulenten und schicksalhaften Jahr 1923 besetzten Frankreich und Belgien das Ruhrgebiet, eines der wichtigsten deutschen Industriegebiete, da Deutschland seinen Reparationsverpflichtungen nicht nachgekommen war. Die Regierung verfolgte eine Politik des passiven Widerstandes, und die Wirtschaft im Ruhrgebiet kam zum Stillstand. Aus einer rasch fortschreitenden Inflation wurde eine Hyperinflation, welche jegliche Möglichkeit rationaler wirtschaftlicher Kalkulation unmöglich machte. Auf der Linken gewann die KPD an Zuwachs, ebenso wie eine Vielzahl extremistischer Organisationen auf der Rechten. Sowohl die KPD als auch die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) versuchten im Oktober 1923 eine Revolution anzuzetteln (die Kommunisten hatten dies bereits vorher versucht). Beide scheiterten jedoch.

Nachdem sie schließlich die Nutzlosigkeit des passiven Widerstandes erkannt hatte, beendete die Regierung diese Politik am 26. September 1923. Damit stand nun die Tür für Verhandlungen mit den Alliierten offen, insbesondere, da Frankreich und Belgien letztlich die Sinnlosigkeit (und hohen Kosten) der Besetzung eingesehen hatten. Am 15. November 1923 gab die Regierung eine neue Währung aus, die Rentenmark. Das Ergebnis war eine sofortige Stabilisierung der Währung, allerdings auf Kosten derjenigen Deutschen, die Geld gespart hatten und ihre Ersparnisse somit verloren. Langwierige Verhandlungen im Laufe des Jahres 1924 führten schließlich zum Abzug der französischen und belgischen Truppen aus dem Ruhrgebiet im Gegenzug für einen Zeitplan von Reparationszahlungen, zu dem Deutschland sich verpflichtete.

In der Zwischenzeit war die SPD aus der Regierungskoalition ausgeschieden, und die gesamte politische Landschaft verschob sich zum rechten Spektrum der Zentrumspartei. Den Unternehmensbesitzern gelang es, viele der in der Revolution erstrittenen sozialen Errungenschaften, speziell den 8 Stunden Tag, wieder abzuschaffen. Mit aktiver Unterstützung der Weimarer Regierung führten die Industriellen in ihren Fabriken die Zwölfstundenschicht der Vorkriegszeit wieder ein (8 ½ Stunden in den Bergwerken). Auch eine Reihe von Streiks konnte diese Maßnahme nicht verhindern.

Trotz zerbrechender Koalitionen und wechselnder Parteibündnisse waren die mittleren Jahre der Weimarer Republik bemerkenswert stabil. Die von amerikanischen Banken gewährten Kredite trugen zum Anschub einer wesentlichen wirtschaftlichen Erholung bei und halfen Deutschland beim Abtragen seiner Reparationsschulden. Die Parteien der extremen Linken und Rechten verloren an Boden. Bei der Reichstagswahl von 1928 war die SPD in der Wählergunst deutlich gestiegen, und eine Große Koalition aus SPD auf der Linken und der Deutschen Volkspartei (DVP) auf der Rechten übernahm die Regierungsgeschäfte. Ein 1927 verabschiedetes umfangreiches Gesetz zur Arbeitslosenversicherung stellte eine deutliche Erweiterung des Wohlfahrtsstaates dar, ebenso wie ein Gesetz, das Frauen ihren Arbeitsplatz sechs Wochen vor und nach der Geburt eines Kindes sicherte (allerdings ohne Bezahlung). Die Reichsregierung vermittelte in zahlreichen Arbeitskämpfen und reduzierte die Arbeitszeiten auf ein Maß, das zumindest näher am ersehnten 8 Stunden Tag lag. Allerdings hatte der Rationalisierungsprozess, der inzwischen in der Industrie stattgefunden hatte, langfristige strukturelle Arbeitslosigkeit zur Folge, insbesondere unter Jugendlichen.

Die scharfen Auseinandersetzungen über den Friedensvertrag ließen ebenfalls nach. In den Verträgen von Locarno, die am 1. Dezember 1925 unterzeichnet wurden, entsagten Deutschland, Frankreich und Belgien der Anwendung von Gewalt, um die Grenzen zwischen ihnen zu verändern. Ein Jahr später, am 10. Dezember 1926, wurde Deutschland in den Völkerbund aufgenommen. Die politische Schlüsselfigur bei all diesen Entwicklungen war Gustav Stresemann, DVP-Mitglied und langjähriger Außenminister der Weimarer Republik. Er verkörperte den „Geist von Locarno“ und die „Erfüllungspolitik“, welche versprach, dass Deutschland seinen Reparationsverpflichtungen nachkommen und gleichzeitig versuchen würde, die Bestimmungen des Versailler Vertrages zu ändern – jedoch ausschließlich mit diplomatischen Mitteln.

Doch die Republik bedurfte langanhaltender politischer Stabilität und wirtschaftlichen Wachstums, um öffentlich die Legitimität zu gewinnen, die sie verdiente. Sowohl die KPD als auch die extreme und traditionellere Rechte erhielten ihre stetigen Angriffe auf die Republik aufrecht, selbst während der durch die Verträge von Locarno und die wirtschaftliche Expansion geprägten Mittelphase. Es ist denkbar, dass diejenigen Parteien und Bewegungen, welche der Republik die Legitimität absprachen, angesichts dieser Entwicklungen schließlich abgedrängt worden wären. Während der Hyperinflation hatte die Republik die Unterstützung der Mittelklasse verloren und während der Stabilisierung diejenige großer Teile der Arbeiterklasse. Unter den Bedingungen von Frieden und Wohlstand hätten beide vielleicht endlich auf die Seite der Republik gezogen werden können.

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