GHDI logo

VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Für Hitler und viele hochrangige Nazis unterschieden sich Männer und Frauen nicht nur im Hinblick auf die Biologie, sondern auch im Charakter. Dementsprechend sollten die Geschlechter ganz unterschiedliche Rollen in dem neuen Staat und der neuen Gesellschaft spielen. Hitler, der ein entschiedener Gegner der emanzipatorischen Entwicklungen der Weimarer Republik war, legte einige seiner grundlegenden Ansichten zur Rolle der Frauen in einer Rede vor der NS-Frauenschaft im September 1934 dar.

Die Betonung der Mutterrolle der Frau spiegelte sowohl biologischen Determinismus wider als auch einen empfundenen demographischen Imperativ: nämlich die Notwendigkeit, die deutsche Bevölkerungszahl zu erhöhen. Diejenigen, welche heirateten und in ausreichender Zahl Kinder bekamen, profitierten von einer Reihe finanzieller Anreize (wie dem Heiratsdarlehen-Programm von 1933) und Statuserhöhungen (wie der Auszeichnung mit dem „Mutterkreuz“) (33). Diese Bemühungen mögen Mitte der 30er Jahre wohl zu einem Anstieg der Geburtenrate beigetragen haben, wobei wohl auch die Besserung der wirtschaftlichen Lage eine Rolle spielte.

Zur Schattenseite der NS-Bevölkerungspolitik gehörten angestrengte Versuche, Abtreibungen zu verbieten und den Zugang zu Verhütungsmitteln einzuschränken, ebenso wie eine systematische Kampagne gegen die Homosexualität, die von der Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung geführt wurde. Der Leiter dieser Zentrale, Josef Meisinger (1889-1947), legte bei einer Konferenz medizinischer Experten im April 1937 die mehr oder weniger offizielle Sicht dar, dass männliche Homosexualität überwiegend angelerntes Verhalten sei und geändert werden könne – und müsse.

Da viele Frauen weder heiraten noch Mütter werden konnten und einige Frauen sich für die Erwerbstätigkeit entschieden, gab es einen wesentlichen Frauenanteil in der Arbeiterschaft (der mit zunehmendem Arbeitskräftemangel zusätzlich anstieg). Doch selbst der Kriegsausbruch änderte nichts an der grundsätzlichen Ansicht der Nazis, dass weibliche Arbeitskräfte eine Ausnahme waren, nicht die Regel; aus diesem Grund bestätigte die Regierung die bestehende Politik der Nicht-Verpflichtung von Frauen als Arbeitskräfte. Kurz darauf forderte Himmler alle Mitglieder der SS und Polizei auf, dafür zu sorgen, dass sie Kinder hinterließen, bevor sie in den Krieg zogen. Ausdrücklich wies er die Einschränkungen bürgerlicher Konvention – d.h. die Notwendigkeit, zu heiraten, bevor Kinder gezeugt werden – zurück, indem er erklärte, diese beträfen deutsche Frauen in Kriegszeiten nicht. Dieser Aufruf löste eine unmittelbare Gegenreaktion aus, die Himmler zu einer Klarstellung zwang. Von seinem grundsätzlichen Standpunkt trat er allerdings nicht ab.

Die fortgesetzte Dauer des Krieges sowie der damit einhergehende Anstieg der deutschen Kriegsgefallenen lösten auf höchster Ebene Diskussionen über die Notwendigkeit der Erhöhung der Geburtenrate, um die Kriegsverluste auszugleichen, aus. Der relative Frauenüberschuss bedeutete, dass viele von ihnen nicht heiraten können würden. Dies wiederum bedeutete, dass die meisten Unterschiede zwischen ehelichen und unehelichen Kindern in der Nachkriegszeit ausgeräumt werden müssten. In einem vom 29. Januar 1944 datierten Schreiben schlug Martin Bormann, der als Chef der Parteikanzlei mehr täglichen Kontakt mit Hitler hatte als die meisten anderen Funktionsträger, eine Reihe ehrgeiziger und kostspieliger Initiativen vor, um alleinerziehende Mütter mehrerer Kinder zu unterstützen.



(33) Claudia Koonz, Mothers in the Fatherland. New York: St. Martin’s Press, 1988 (dt.: Claudia Koonz, Mütter im Vaterland, übersetzt von Cornelia Holfelder von der Tann. Freiburg im Breisgau: Kore, 1991).

Seite 29

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite