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Die 6. Interzonale Gewerkschaftskonferenz: Stellung der Frau in der Wirtschaft, Neuaufbau der Sozialversicherung (21.-23. Oktober 1947)

In der Nachkriegszeit sind knapp die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland Frauen. Mit dieser Wirklichkeit müssen sich nun auch die deutschen Gewerkschaften auseinandersetzen, die in früheren Zeiten die Berufstätigkeit von Frauen aus Angst vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nicht vorbehaltlos unterstützt hatten. Die 6. Interzonale Gewerkschaftskonferenz setzt sich 1947 für das Recht der Frau auf Arbeit einschließlich entsprechender Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, für besondere Arbeitsschutzmaßnahmen für Frauen sowie für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen ein.

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Die 6. Interzonale Gewerkschaftskonferenz
Stellung der Frau in der Wirtschaft, Neuaufbau der Sozialversicherung

Bad Pyrmont, 21.-23. Oktober 1947



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Die 6. Interzonenkonferenz der deutschen Gewerkschaften in Bad Pyrmont hat sich mit der Stellung der Frauen in der Wirtschaft und den Gewerkschaften eingehend befasst. Nazi-Regime und Krieg haben die Stellung der Frau im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft grundlegend gewandelt. Nahezu 50% aller berufstätigen Menschen sind heute Frauen. Ihre Mitarbeit beim Neuaufbau der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staates ist unerlässlich. Daraus ergibt sich, dass die Gewerkschaften in erhöhtem Masse die Interessen der werktätigen Frauen wahrnehmen. In Anknüpfung an die jahrzehntelange Arbeit der deutschen Gewerkschaften für die werktätigen Frauen, stellt die Interzonenkonferenz namens der deutschen Gewerkschaften an die Gesetzgebung und an die Öffentlichkeit folgende Forderungen:

1.) Sicherung des Rechtes der Frau auf Arbeit.

Förderung der beruflichen Ausbildung und Umschulung der Frau und Bereitstellung entsprechender Lehrstellen.
Schaffung gleicher Aufstiegsmöglichkeiten in den Betrieben und Verwaltungen. Eröffnung neuer Berufe für Frauen entsprechend ihrer körperlichen Eignung.

2.) Ausbau des Arbeitsschutzes für Frauen.

Verbot aller gesundheitsschädlichen oder besonders gefahrvollen Arbeiten für Frauen, Ausschliessung der Frauen von für sie ungeeigneten Arbeitsplätzen ohne arbeitsmässige oder materielle Benachteiligung. Zweckmässige Arbeitslenkung durch die Arbeitsämter. Stärkere Beteiligung von Frauen in den Arbeitsschutzbehörden auf Vorschlag der Gewerkschaften.
Ausbau und Einhaltung aller Arbeitsschutzbestimmungen, insbesondere für Mütter, Schwangere und Wöchnerinnen.
Schaffung und Verbesserung betrieblicher und sozialer Einrichtungen, die der Entlastung der berufstätigen Frau und Mutter in ihrer Hausarbeit dienen, u.a. bezahlter Hausarbeitstag, Schaffung eines Gesetzes für Hausgehilfen, Regelung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen.

3.) Gleiche Bezahlung für Männer und Frauen.

Beseitigung aller besonderen Frauenlohngruppen in den Tarifen. Gerechte Einstufung der Frauen in die jeweils gültige Lohngruppe der angelernten oder Facharbeiter, entsprechend ihrer Arbeit. Beseitigung aller unter einem ausreichenden Existenzminimum liegenden Löhne.”

Nach Abschluss des Tagesordnungspunktes beschliesst das Büro der Konferenz den Frauen-Delegierten die weitere Teilnahme an der Tagung zu gestatten. Ein Berufungsfall soll damit aber nicht geschaffen sein.

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5.) Entschliessung zur Sozialversicherung.

Die Konferenz fasst zum Neuaufbau der deutschen Sozialversicherung einstimmig nachstehenden Beschluss:

Die in Bad Pyrmont vom 21.-23. Oktober 1947 tagende 6. Interzonenkonferenz der Gewerkschaften als die massgeblichen und verantwortlichen Vertreter der Versicherten und deren Angehörigen, ersucht erneut den Kontrollrat, das in Aussicht stehende Gesetz über die Neugestaltung der deutschen Sozialversicherung umgehend zu verabschieden. Sie verweist noch einmal auf die von der 3. Interzonenkonferenz in Berlin einstimmig angenommene Entschliessung aller Gewerkschaften Deutschlands und auf die dort aufgestellten Grundsätze. Sie erwartet, dass der Forderung auf eine einheitliche gesetzliche Regelung für ganz Deutschland entsprochen wird. Hierbei ist insbesondere der Versichertenkreis auf alle Arbeitnehmer, sowie alle selbständig erwerbstätigen Personen und Unternehmer einschl. der Familienangehörigen zu erweitern und bei der Neuregelung der Leistungen der gesamten Sozialversicherung den sozialen Erfordernissen unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der seitherigen Leistungen zu entsprechen. Um diese Leistungen zu sichern, sind die notwendigen Mittel durch Beiträge, sowie durch Zuschüsse des Staates aufzubringen.

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Quelle: SAPMO-BArch, DY 34/22977; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 2/2: 1945-1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, S. 405-07.

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