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Rudolf Hess warnt vor einer Abschreckung der Mittelschicht (1932)

Das Scheitern Hitlers, nach den Wahlen zum Reichstag im Juli 1932 eine nationalsozialistische Regierung zu bilden, versetzte der Bewegung einen herben Schlag. Papen versuchte, von der gesunkenen Moral der NSDAP zu profitieren und forderte erneut Neuwahlen. Ein Verlust der nationalsozialistischen Abgeordnetensitze im Parlament könnte, so sein Kalkül, die Nationalsozialisten dazu bewegen, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, statt gegen sie zu intrigieren. Goebbels empörte sich über die reaktionäre Papen-Regierung und lancierte eine propagandistische Kampagne, die darauf ausgelegt war, die Papen-Regierung als „kleine feudale Clique“ zu verleumden, welche kein anderes Ziel verfolge, als die Nationalsozialisten zu isolieren. Im folgenden Memorandum weist Rudolf Hess auf die mögliche Gefahr hin, auf diese Weise die Mittelschichten abzuschrecken, ohne wirklich die Attraktivität der NSDAP für die Arbeiterschaft zu erhöhen.

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Es ist unzweckmässig, den Kampf auf die Parole „Gegen die Regierung der Barone“ abzustellen, wie es teilweise schon propagandistisch und pressemässig geschieht. Denn: Diese Parole ist eine willkommene Waffe für Regierung, Deutschnationale und sonstige Gegner, die mit einem Schein des Rechts behaupten können, nachdem die NSDAP bereits den „Kampf gegen das Zentrum“ aufgegeben, den „Parlamentarismus in Schutz nehme“, gehe sie nunmehr zu „klassenkämpferischen Tendenzen“ über. [ . . . ]

Der Schaden der hierdurch wahlmässig entstünde, wäre grösser als der Nutzen. Ein grosser Teil der von rechts gekommenen Wähler wird zweifellos durch die bis zu einem gewissen Grad begründbare Behauptung, die NSDAP ginge zu Klassenkampf-Parolen über, beeindruckt. Ein Ausgleich oder gar ein Plus von der linken Seite ist durch diese Parole nicht zu erwarten. Denn die Mehrzahl derjenigen, auf die diese Parole Eindruck macht, wird dorthin gehen oder dort bleiben, wo diese Kampfesweise am radikalsten ist. Am radikalsten kann aber nach wie vor der Marxismus sein, weil der Klassenkampf eine seiner programmatischen Grundthesen ist. [ . . . ]

Die Bewegung dürfte nunmehr an Wählern so ziemlich alles erfasst haben, was mittels der bisherigen Propaganda-Methoden erfasst werden kann, d.h. mittels auf die grosse weltanschauliche Linie und auf allgemeine Ziele abgestellter Propaganda. Hinzu kommt, dass bei diesem Wahlkampf uns eine Regierung gegenübersteht, die bei einem Teil der Wähler – und zwar zweifellos auch bei einem Teil unserer bisherigen Wähler – den Eindruck zu erwecken verstand, dass sie nunmehr praktisch durchführt und im einen oder anderen Punkte sogar schon durchgeführt hat, was die Nationalsozialisten anstrebten, was sie aber selbst durchzuführen gar nicht in der Lage sind. Sie hätten überhaupt keine klaren, praktischen Ziele, soweit solche bekannt, stellten sie gefährliche Experimente dar; die bisherigen Massnahmen der Regierung könnten die Nationalsozialisten zwar in Grund und Boden verdammen, aber wie sie es besser machen würden, erführe man nicht.

Die Kritik an der Regierung darf daher vor allem nicht nur allgemein gehalten sein („Barone-Regierung“, „Sozial-Reaktionäre“, „Erbschleicher“ usw.), sondern muss stets mit konkreten Begründungen verbunden werden. [ . . . ]




Quelle: National Archives, Washington, DC. American Committee for the Study of War Documents. National Archives Microcopy No, T-81, Roll No. R-1 Frames 11427-11432..

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