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Arnold Brecht über Matthias Erzbergers Beleidigungsklage gegen Karl Helfferich 1920 (Rückblick 1966)

Nach der Niederlage 1918 agitierte der ehemalige Vizekanzler Karl Helfferich vehement gegen Matthias Erzberger, den er „Reichsverderber“ nannte. Helfferich stellte Erzberger als korrupten Politiker dar und machte ihn wegen dessen Rolle beim Zustandekommen der Friedensresolution 1917, der Unterzeichnung des Waffenstillstandes 1918 und der Annahme des Versailler Vertrages 1919 praktisch persönlich für die Folgen der Niederlage verantwortlich. Ähnlich wie die führenden Militärs lenkte Helfferich mit seiner Version der „Dolchstoßlegende“ von der eigenen Verantwortung ab, denn als Staatssekretär des Reichsschatzamtes (1915/1916) hatte er sich für die Kriegsfinanzierung durch Anleihen (unter Vernachlässigung von Kriegssteuern) entschieden, was zusammen mit der Vermehrung des Papiergeldumlaufs während des Krieges der Inflation Vorschub leistete und eine schwere Belastung für die Republik darstellte.

Erzberger verklagte Helfferich, der nach einem Prozess in Berlin (19. Januar-12. März 1920) lediglich zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt wurde. Da das – alles andere als unvoreingenommen urteilende – Gericht aber einige der Vorwürfe Helfferichs für stichhaltig ansah, ging dieser für die Öffentlichkeit als moralischer Sieger aus dem Prozess hervor. Erzberger trat daraufhin als Reichsfinanzminister zurück und suchte seinen Ruf zu rehabilitieren. Am 26. August 1921 fiel Erzberger einem Attentat nationalistischer Extremisten zum Opfer. Die Parole „Fort mit Erzberger“ machte Helfferich im Grunde zum geistigen Anstifter zur Tat. Von der politischen Rechten wurde der Mord z.T. offen bejubelt und zynischerweise Erzberger selbst die Schuld an seinem Schicksal gegeben.

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Im Januar 1920 begann auch der Beleidigungsprozeß Erzbergers gegen Helfferich. Dieser hatte in einer Artikelserie in der konservativen Kreuzzeitung unter der Überschrift „Fort mit Erzberger“ – alsbald auch als Broschüre veröffentlicht – schwere persönliche Beschuldigungen gegen Erzberger erhoben. Sie endeten in folgenden aufreizenden Worten:

Das ist Herr Erzberger, der nicht doppelt und dreifach, sondern zehn- und zwanzigfach von allen Seiten bewußter Unwahrheit geziehen wird; der sich eine unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigener Geldinteressen zum Vorwurf machen lassen muß; der auf alle diese Anschuldigungen trotz schärfster Herausforderung nicht klagt, sondern kneift und nach der Art bedrohter Tintenfische das Wasser trübt, um zu entwischen. [ . . . ]

Das ist Herr Erzberger, dessen Name mit Recht unter dem elenden Waffenstillstandsvertrag steht.

Das ist Herr Erzberger, der während des Waffenstillstands der Entente half, uns finanziell zu knebeln, der unsere Handelsflotte in die Häfen der Entente steuerte!

Das ist Herr Erzberger, der uns nach Versailles geführt hat, der während der Friedensverhandlungen den Feinden seine Bereitwilligkeit zu erkennen gab, den Schand- und Knechtschaftsfrieden bedingungslos zu unterzeichnen, der damit die Auslieferung des Kaisers und anderer deutscher Männer auf dem Gewissen hat, der aber in Erkenntnis seines Werkes sich von der Unterzeichnung seines Friedens zu drücken wußte!

Das ist Herr Erzberger, dessen Name trotzdem für alle Zeit mit Deutschlands Not und Deutschlands Schmach unlösbar verbunden sein wird!

Das ist Herr Erzberger, der das deutsche Volk mit dem geringen moralischen, politischen und wirtschaftlichen Kapital, das es aus dem Zusammenbruch noch gerettet hat, zur gänzlichen Vernichtung führen wird, wenn ihm nicht endlich das Handwerk gelegt wird!

Deshalb gibt es für das deutsche Volk nur eine Rettung. Überall im Lande muß mit unwiderstehlicher Gewalt der Ruf ertönen: Fort mit Erzberger!




Quelle: Arnold Brecht, Aus nächster Nähe, Lebenserinnerungen 1884-1927. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1966, S. 298-99. [Originalquelle: Karl Helfferich, Fort mit Erzberger. Berlin: Scherl 1919, S. 81-83.]

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