GHDI logo


Bernhard von Bülow, „Revolution in Berlin” (posthume Veröffentlichung 1931)

Der ehemalige Reichskanzler Bernhard von Bülow kontrastiert hier den auf den ersten Blick profanen Revolutionsalltag in Berlin mit einem v.a. unter Heranziehung der französischen Geschichte gezeichneten künstlichen, ästhetisch überhöhten Bild von Revolutionären und Staatsmännern. Er scheint sogar Sympathien für Louis Charles Delescluze zu besitzen, einen der Protagonisten der Pariser Kommune 1871 (bezeichnenderweise, weil er „freiwillig auf der Barrikade“ fiel). Die politischen Führer der Umbruchssituation in Deutschland werden systematisch verunglimpft; Max von Baden war für Bülow ein „prinzlicher Neurastheniker“, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert für ihn lediglich „Fritz“ Ebert (die Kurzform des Vornamens wird von Bülow herablassend verwendet). Aufschlussreich für Bülows politische und moralische Maßstäbe ist seine offensichtliche Ungerührtheit über die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht; dagegen bezieht sich sein Urteil, er „habe nie etwas Ekelhafteres, etwas Empörenderes und dabei Feigeres gesehen“ auf das Abreißen der Schulterstücke von Offizieren durch revolutionäre Soldaten.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 3


Am 9. November erlebte ich in Berlin den Ausbruch der Revolution. Ach, sie zeigte sich nicht als die herrliche Göttin, die Ferdinand Lassalle in seinen ehrgeizigen Träumen sah, mit wehendem Lockenhaar, eherne Sandalen an den Füßen. Sie glich mehr einer alten Vettel mit kahlem Kopf, triefenden Augen und zahnlosem Mund, schiefgetretenen Pantoffeln an den plumpen Füßen. Die deutsche Revolution war durch und durch spießbürgerlich, es fehlte ihr jede Wärme, jedes Feuer, sie war ganz vulgär. Sie freute sich nicht am Schein, sie achtete nicht den Schwung. Sie brachte keinen Danton hervor, wie er auf dem Pariser Boulevard in Erz gebildet steht, mit geballter Faust, neben dem Sockel links ein Sansculotte mit gefälltem Bajonett, rechts ein Tambour, der für die Levée en masse die Sturmtrommel schlägt. Sie brachte keinen Gambetta hervor, der den Krieg à outrance proklamiert und Widerstand und Krieg um fünf Monate verlängert, nicht einmal einen Delescluse, der freiwillig auf der Barrikade fällt. Ich habe in meinem Leben nichts Roheres und dabei Gemeineres gesehen als die Leiterwagen und Tanks, die, angefüllt mit betrunkenen Matrosen und aus den Ersatzbataillonen desertierten Soldaten, am 9. November durch die Berliner Straßen zogen. Ich hatte an jenem Nachmittag von meinem Eckfenster im Hotel Adlon einen weiten Überblick über den Pariser Platz und über die Linden. Ich habe nie etwas Ekelhafteres, etwas Empörenderes und dabei Feigeres gesehen als die halbwüchsigen Burschen, die, geziert mit den roten Schleifen der Sozialdemokratie, sich von hinten zu mehreren an Offiziere heranschlichen, an Offiziere, die das Eiserne Kreuz und den Pour le mérite trugen, sie an den Ellbogen packten, um sie wehrlos zu machen, und ihnen dann die Achselstücke abrissen. Als der junge Hauptmann Bonaparte am 10. August 1792 dem Sturm auf die Tuilerien zusah, sagte er bekanntlich: „Avec un bataillon on balayerait toute cette canaille.“ Es unterliegt keinem Zweifel, daß am 9. November 1918 in Berlin mit einigen Sturm- und Kampfbataillonen dasselbe möglich war. Solche Bataillone hätten sich aus den in Berlin befindlichen Offizieren und Unteroffizieren, unter denen man auf eine solche Order mit Ungeduld wartete, leicht bilden lassen. Wenn gleichzeitig Maschinengewehre am Brandenburger Tor, auf dem Schloßplatz und auf dem Alexanderplatz aufgestellt wurden und einige Tanks mit Scharfschützen die Stadt durchfuhren, wäre die Berliner Kanaille rasch auseinandergestoben. Nur mußte natürlich nicht nur die Erlaubnis, sondern der ausdrückliche Befehl zum Scharfschießen gegeben werden, wozu sich der Prinz Max nicht aufraffen konnte, nicht zuletzt aus der Besorgnis, sich dadurch in seinem Heimatland als Thronfolger unmöglich zu machen.

Während der Pöbel sich der Herrschaft über die Berliner Straßen bemächtigte, war längere Zeit zwischen Berlin und Spa hin und her telephoniert worden. In Berlin stand der Geheimrat Wahnschaffe, in Spa der Legationsrat von Grünau am Apparat. Wahnschaffe, ein an sich tüchtiger Beamter, hatte unter dem enervierenden Einfluß des Prinzen Max völlig den Kopf verloren. Grünau hatte überhaupt keinen Kopf zu verlieren. Er war ein junger Diplomat ohne jede politische Erfahrung noch Schulung, gänzlich unvertraut mit den staatsrechtlichen Problemen, die zur Entscheidung standen. Der morganatischen Ehe eines Prinzen von Löwenstein mit einer Gouvernante entsprossen, stand er zum Karlsruher Hof in näheren Beziehungen und war deshalb vom Prinzen Max als Mann seines Vertrauens dem Kaiser nach Spa beigegeben worden. Es war ein tragisches Verhängnis, daß dem König von Preußen in der ernstesten Stunde der preußischen Monarchie als einziger politischer Berater ein junger Mann zur Seite stand, der sich zu allem eignen mochte, nur nicht zum Eckart der glorreichen, hart bedrängten preußischen Krone. Als Ergebnis der aufgeregten Telephonate zwischen Grünau und Wahnschaffe ließ Prinz Max an den Plakatsäulen und Straßenecken Berlins eine amtliche Mitteilung anschlagen, die der Bevölkerung der Hauptstadt die Abdankung des Kaisers und Königs verkündete, obwohl, wie später festgestellt wurde, Wilhelm II. nur auf die kaiserliche Würde, nicht aber auf die preußische Krone hatte Verzicht leisten wollen. Das war Entstellung oder hysterische Kopflosigkeit. Es entsprach dieser jammervollen Geistesverfassung des letzten vom Kaiser ernannten Reichskanzlers, daß Prinz Max, ohne Rücksprache mit seinen Kollegen oder mit den militärischen Instanzen zu nehmen, die seit vierundzwanzig Stunden auf den Befehl zum Eingreifen warteten, brieflich dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Herrn Fritz Ebert, die Geschäfte des Deutschen Reichs übertrug und es der sozialdemokratischen Partei überließ, die Neuordnung der Dinge in die Hand zu nehmen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite