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Aus der Denkschrift des Bundesministeriums für Familienfragen über „Die Gründe unseres Geburtenrückgangs” (1957)

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C. Erwerbstätigkeit der verheirateten Frauen:
Im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Ursachen für die Kleinhaltung der Familie muß die außerordentliche Zunahme der Berufstätigkeit der Ehefrauen im modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsleben gesehen werden. Denn es sind ja vorwiegend diese Ursachen, welche die verheiratete Frau zur Erwerbstätigkeit – vor allem in Fabrik und Büro – veranlassen; die Fälle, in denen aus einer echten Berufung heraus solche Tätigkeit außer Haus der in der Familie vorgezogen wird, sind bei weitem in der Minderzahl.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Berufstätigkeit der verheirateten Frauen die Geburtenzahl in diesem Kreis ungünstig beeinflußt. Sowohl die Rücksicht auf wirtschaftliche oder berufliche Erwägungen wie die körperliche Überbelastung durch zwei Berufe – auch der Hausfrauenberuf ist ein vollwertiger Beruf – führen weitgehend zur Einschränkung der Kinderzahl. Diese Überlegungen werden bestätigt durch die Feststellungen des Statistischen Bundesamtes. Hiernach hatten 1950 die zusammenlebenden Ehepaare, bei denen die Ehefrau als Arbeitnehmerin tätig war, im Durchschnitt 0,6 Kinder unter 15 Jahren in ihrem Haushalt, während die entsprechende Zahl für die Gesamtheit aller Ehepaare 0,9 war.

Allerdings geben diese Zahlen noch keinen letzten Aufschluß, weil sich aus ihnen nicht eindeutig ersehen läßt, ob die geringere Geburtenhäufigkeit der erwerbstätigen Ehefrauen im Einzelfall Folge oder Ursache der Erwerbstätigkeit ist. Um ein sicheres Urteil fällen zu können, müßten neben dem Alter auch die Dauer der Ehe, das Einkommen des Ehemannes und andere Merkmale bekannt sein, worüber die Statistik gegenwärtig noch keine Auskunft gibt.

D. Wohnungsnot:
Aus den rund 10 000 Eingaben, die das Bundesministerium für Familienfragen jährlich allein von Wohnungssuchenden erhält, geht deutlich hervor, welch ernste Bedeutung immer noch die Wohnungsnot für viele unserer Familien hat. Trotz des Baues von insgesamt rund 3,5 Millionen Wohnungen mit einem Finanzaufwand von etwa 55 Milliarden DM schätzt das Bundesministerium für Wohnungsbau Ende 1956 das Defizit an Familienwohnungen (Mehrraumwohnungen) noch auf etwa 1,6 Millionen Wohnungen. Von diesem Problem werden gerade jüngere Familien besonders betroffen, die nach der Eheschließung noch keine geeignete Wohnung gefunden haben bzw. noch nicht finanzkräftig genug sind, eine solche zu erwerben. Immer wieder ist in den Eingaben festzustellen, wie sehr jüngere Eheleute, die an sich im Großziehen mehrerer Kinder eine Erfüllung ihrer Ehe sehen, unter Wohnverhältnissen zu leiden haben, die ihnen das schlechterdings unmöglich machen.

E. Verhütung und Abtreibung:
Dem aus den vorerwähnten Gründen bestehenden Willen zur Kleinhaltung der Familie kommt entgegen, daß immer breiter werdende Kreise eine umfassendere Kenntnis von Verhütungs- und Abtreibungsmethoden erhalten.

Nach den Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes hat sich allein die Produktion von Gummischutzmitteln innerhalb der letzten 5 Jahre verdoppelt. (1950 rund 44 Millionen, 1955 rund 88 Millionen). Über die chemischen Verhütungsmittel liegen bislang Zahlenangaben nicht vor.

Eine viel schwerer wiegende Bedeutung kommt dem Ansteigen der Fehlgeburten und Abtreibungen zu. Der Hamburger Hygieniker Professor Dr. Harmsen, Mitglied des Beirats des Bundesministeriums für Familienfragen, sieht hierin mit Recht ein Zentralproblem für Volksgesundheit und Geburtenentwicklung.

Auch nach ärztlicher Ansicht ist ein merkbarer Rückgang der gegenwärtigen Geburtenzahlen infolge des erheblichen Anstiegs der Fehlgeburten nicht mehr zu übersehen. Es besteht zwar praktisch keine Meldepflicht mehr für Ärzte, wie in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, jedoch geben die wenigen zahlenmäßigen Unterlagen aus der Nachkriegszeit genügend Aufschluß darüber, daß es sich hier um ein erschreckend ernstes sozialbiologisches wie auch sozialhygienisches Problem handelt [ . . . ]

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