GHDI logo

Kaiserin Maria Theresia über den Charakter Josephs II., ihres Sohnes und Mitregenten (14. September 1776)

Seite 2 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Glaubst Du, in dieser Weise Dir treue Dienste zu sichern? Ich fürchte sehr, Du wirst Schuften in die Hände fallen, die, um ihr Ziel zu erreichen, sich alles gefallen lassen, was ein edler Sinn und wahrhafte Ergebenheit nicht ertragen können. Stelle Dir meine Lage Kaunitz gegenüber vor. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er in seiner Betretenheit nur geäußert hat: ,,Ich dachte nicht, diese Vorwürfe zu verdienen.“ Was wird Starhemberg dazu sagen, wenn er sieht, wie Du denkst? Und was mich am meisten betrübt, es ist nicht eine erste Eingebung. Vierundzwanzig Stunden nach dem Empfang der Depeschen, also nach reiflicher Überlegung hat es Dir Genugtuung bereitet, mit Spott und mit übertriebenen Vorwürfen Männer ins Herz zu treffen, die Du selbst für die besten hältst und die Du Dir zu erhalten versucht hast. Ich müßte beinahe daran zweifeln, daß Du damals aufrichtig warst. Ich fürchte sehr, Du wirst nie Freunde finden und Ergebenheit für die Person Josefs, worauf Du so viel Gewicht legst. Denn nicht vom Kaiser und nicht vom Mitregenten gehen diese Äußerungen beißenden und boshaften Spottes aus, sondern vom Herzen Josefs. Das erschreckt mich, das wird das Unglück Deines Lebens sein und das der Monarchie und von uns allen nach sich ziehen. Ich werde nicht mehr sein; aber ich schmeichelte mir, nach meinem Tode in Deinem Herzen fortzuleben und daß Deine zahlreiche Familie und Deine Staaten durch meinen Verlust nichts verlieren, im Gegenteil dadurch gewinnen werden. Kann ich mir das einbilden, wenn Du Dich so gehen läßt und eine Tonart anschlägst, die jede Liebe und Freundschaft fernhält? Die Nachahmung macht Dir keine Ehre. Hat dieser Held, der soviel von sich hat reden machen, dieser Eroberer einen einzigen Freund? Was ist das für ein Leben, woraus die Menschlichkeit verbannt ist? Besonders in unserer Religion ist die Nächstenliebe die Hauptgrundlage, nicht Rat, sondern Vorschrift. Glaubst Du sie zu üben, wenn Du die Leute betrübst und mit kühlem Spott behandelst, selbst diejenigen, die große Dienste geleistet haben und nur, wie jeder von uns, Schwächen besitzen, die aber weder dem Staate noch uns, sondern nur ihnen selbst schädlich sind? Auch im gegenwärtigen Falle haben sie mit der Darstellung dieser Unzuträglichkeiten nur ihre Pflicht erfüllt und einen Mittelweg gesucht, um die gegenwärtigen Absichten mit der Vergangenheit in Einklang zu bringen. Mit den Ungelegenheiten, die man zu erwarten hat, und bei einer solchen Aufassung der Vorstellungen – wer wird da nochmals kommen wollen? Wer sich mit seinen Darlegungen – außer unter dem harten Zwang der Verhältnisse – bloßstellen, wenn er so aufgenommen wird?

Unmöglich kannst Du bei all Deinen Talenten die ganze Erfahrung besitzen und alle Verhältnisse der Vergangenheit und der Gegenwart derart durchschauen, um alles allein zu entscheiden. Ein Ja oder Nein, eine glatte Zurückweisung wäre besser gewesen als dieser ganze Wortkram des Spottes, in dem sich Dein Herz entladen und in der Bewunderung des eigenen Redeflusses geschwelgt hat. Hüte Dich sorgfältig davor, in Bosheiten Befriedigung zu finden. Dein Herz ist noch nicht schlecht, aber es wird es werden. Es ist hoch an der Zeit, sich nicht an all diesen Witzworten, diesen geistreichen Aussprüchen zu weiden. Sie führen nur dazu, die anderen zu betrüben und lächerlich zu machen, so alle anständigen Leute fernzuhalten und zu glauben, daß das ganze Menschengeschlecht der Achtung und der Liebe unwürdig ist, weil Du durch Dein eigenes Vorgehen alle guten Elemente entfernt und nur Schufte, Nachahmer und Schmeichler Deiner Talente Dir erhalten und ihnen Tür und Tor geöffnet hast. Du hast hier das Beispiel der Sinzendorff vor Dir. Man kann ihnen nicht Geist, Talente, gefälliges Wesen absprechen. Aber niemand hält es mit ihnen aus. Sie sind schlechte Verwandte, schlechte Untertanen und taugen für kein Geschäft, nicht für den Krieg und nicht für die Politik. Bei einem Herrscher wäre das Übel noch viel größer, es würde sein eigenes Unglück bilden und das all seiner Untertanen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite