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Samuel Pufendorf, Die Verfassung des deutschen Reiches (1667)

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Nicht wenig trägt auch zur Spaltung unter den Ständen die große Ungleichheit der Macht bei. Denn nach einem Erbfehler des Menschengeschlechts verachten die Stärkeren die Schwächeren und wollen sie unterwerfen, wohingegen diese zu Verdächtigungen und Klagen neigen und zuweilen schroff die Gleichheit ihrer Libertät betonen. Auch der Vorrang der Kurfürsten ist ein ernster Grund zum Zwiespalt, da die Fürsten ihr Ansehen nur widerwillig anerkennen und manche ihnen die widerrechtliche Aneignung ihrer Würde vorwerfen, während jene eifrig für ihr Recht und Ansehen kämpfen.

Als wenn der Krankheiten noch nicht genug wären, hat die Religion, sonst das stärkste Band der Geister, Deutschland in Parteien zerrissen und in heftige Konflikte gestürzt. Die Gründe dafür liegen nicht allein im Haß wegen der verschiedenen religiösen Ansichten und in der Gewohnheit der Geistlichen, Andersgläubige vom Himmel auszuschließen, sondern darin, daß die Protestanten die katholischen Geistlichen aus einem Großteil ihrer Güter vertrieben haben und diese Tag und Nacht danach streben, sie wiederzugewinnen, während jene es für Feigheit halten, das einmal Gewonnene aufzugeben. Außerdem ist nach der Meinung vieler Leute die allzu große Macht der Geistlichkeit überhaupt für den Staat gefährlich, vor allem wenn Priester und Mönche von einem außerdeutschen Oberhaupt abhängen, das niemals aufrichtige Liebe zu den Deutschen empfindet und das alle Laien dem Untergang gern weihen würde, wenn nur seine Gefolgschaft in glänzenden Verhältnissen lebte. Es ist offenkundig, daß sich auf diese Weise ein besonderer Staat im Staate bildet und der Staat so zwei Häupter hat. Die meisten, die ihr Vaterland mehr lieben als die römische Kirche, halten das für das Schlimmste, was dem Staat zustoßen kann.

Nicht weniger schädlich ist die Befugnis der deutschen Stände, nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Ausland Bündnisse eingehen zu können; und dies um so unbekümmerter, als es ihnen im Osnabrücker Frieden ausdrücklich zugestanden wurde. Dadurch teilen sich die deutschen Fürsten in Faktionen, und die verbündeten auswärtigen Mächte erhalten die Möglichkeit, Deutschland nach Belieben in Schach zu halten und bei günstiger Gelegenheit mit Hilfe ihrer Bundesgenossen ihre Macht auf Kosten der Gesamtheit auszudehnen. Denn man sucht solche Bündnisse mit auswärtigen Staaten nicht nur gegen andere Staaten (das könnte man noch dulden), sondern auch gegen Glieder des Reiches selbst.

Aber auch die Spuren der Göttin der Gerechtigkeit sind in Deutschland fast verschwunden. Wenn nämlich ein Streit zwischen Ständen – solche ereignen sich wegen ihrer großen Zahl und wegen der Gemengelage ihrer Territorien oft – vor das Kammergericht gebracht wird, kann man das Ende der Kontroverse erst nach einem Jahrhundert erwarten. Beim Reichshofrat fürchtet man, daß er sich nicht genügend der Gunst und der Bestechung verschließt; und manche haben das Gericht in Verdacht, daß es sich zu sehr durch seinen Sitz am kaiserlichen Hof beeinflussen läßt. Deshalb wird in Deutschland meist das Recht mit den Waffen erstritten; wer die Macht hat, entscheidet auch den Rechtsstreit für sich und fürchtet nicht, auch selbst zur Exekution zu schreiten.

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