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4. Wirtschaft und Arbeit
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Obwohl er im Bereich des internationalen Handels ein Befürworter des Protektionismus war, hielt Friedrich List zwischen den deutschen Staaten Freihandel und in ihnen Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit für sinnvoll. Dennoch gab es in den Jahren zwischen 1815 und 1866 viele Kritiker der Gewerbe- und der Niederlassungsfreiheit und zahlreiche Befürworter des Zunftwesens. Eines ihrer zentralen Argumente lautete, die Einführung dieser Freiheiten sei im Grunde ein Akt bürokratischer Unterdrückung, der einer unwilligen Bevölkerung durch autoritäre Regierungsbeamte aufgezwungen werde. Der Volkskundler und konservative Journalist Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897) artikulierte diese Idee nachdrücklich und klar in seinem sehr einflussreichen 1851 verfassten Buch Die bürgerliche Gesellschaft.

Die entstehende sozialistische Bewegung stand, wie man vermuten würde, einer freien Marktwirtschaft ablehnend gegenüber. In dem vorliegenden Auszug aus Ferdinand Lassalles „Offenes Antwortschreiben“ von 1863 erklärte der Sozialistenführer sein „ehernes Lohngesetz“, demzufolge der Lohn des Arbeiters durch die Mechanismen eines freien Arbeitsmarktes unweigerlich und zwangsläufig auf das Existenzminimum reduziert werde.

In die Phase zwischen 1815 und 1866 fiel auch die Entwicklung einer spezifisch römisch-katholischen Sozial- und Wirtschaftslehre in Deutschland. Sie wurde vor allem von dem Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) vertreten. Ketteler nahm sowohl die konservative Kritik an der Gewerbefreiheit als auch Lassalles These vom „ehernen Lohngesetz“ auf und verurteilte nachdrücklich die freie Marktwirtschaft sowie die liberalen Politiker, die sich für sie stark machten. Im Unterschied zu anderen katholischen oder konservativen Kritikern des freien Marktes hatte er jedoch Zweifel am Nutzen des Zunftwesens, denn er bemerkte, dass die Verbraucher von wirtschaftlicher Konkurrenz profitierten. Darüber hinaus lehnte er Staatsinterventionen im Bereich der Wirtschaft ab. Ketteler war der Ansicht, die katholische Kirche könne am besten dadurch zur Lösung der sozialen Frage beitragen, dass sie sich auf die Armenfürsorge konzentrierte, die Arbeiter zu moralischem und religiösem Lebenswandel anhielt und die wohlhabenden und frommen Katholiken dazu bewog, die Geldmittel für die Gründung von Produktivgenossenschaften bereit zu stellen.

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