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2. Parteien und Organisationen
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Erst gegen Ende des Zeitraums 1815 bis 1866 entwickelte sich aus der erweiterten radikalen und demokratischen Bewegung eine eindeutig sozialistische politische Strömung. Wenn überhaupt eine Person als Gründer einer sozialistischen oder einer sozialdemokratischen Partei in Deutschland gelten kann, dann ist dies der Autor und politische Agitator Ferdinand Lassalle (1825-1864). In seinem berühmten „Offenen Antwortschreiben“ von 1863 sprach er sich für die Gründung einer sozialistischen Arbeiterpartei aus. Solch eine Partei sollte nicht nur sozialistisch sein, sie sollte auch die liberale Forderung nach einer konstitutionellen und parlamentarischen Regierung sowie die radikale Forderung nach einem demokratischen Wahlrecht aufgreifen, da Lassalle zufolge die bestehenden liberalen und demokratischen Parteien hierbei versagt hätten. Auf diese Weise sollte die Arbeiterpartei mehr oder weniger das politische Erbe der Liberalen und Demokraten antreten.

Ein spezifischer Aspekt des deutschen Parteiensystems zwischen 1871 und 1933 war die Existenz einer eigenen römisch-katholischen Partei zusätzlich zu den sozialistischen, radikalen, liberalen und konservativen Parteien. Diese Partei genoss die starke Unterstützung der katholischen Bevölkerung in Deutschland. Vor 1866 war es jedoch unklar, ob eine solche Partei jemals gegründet würde. Zweifellos waren fromme Katholiken, die regelmäßig in die Kirche gingen, aktiv in der Politik tätig. Ebenso gab es zahlreiche katholische Gruppen und Vereine innerhalb des öffentlichen Lebens; allerdings blieb die Frage ungeklärt, ob diese Vereine die Grundlage für eine katholische politische Partei bilden und ob fromme Katholiken in ihr politisch aktiv werden sollten. Während der 1848er-Revolution schlossen sich Deutschlands Katholiken in sogenannten Pius-Vereinen (benannt nach Papst Pius IX.) zusammen. Auf der Generalversammlung der rheinländischen und westfälischen Pius-Vereine, die vom 17. bis zum 20. April 1849 in Köln abgehalten wurde, kam es bezeichnenderweise zu einer Debatte über die Frage, ob sich diese Vereine nur um religiöse Fragen kümmern oder ob sie zu allen politischen Fragen Stellung nehmen und damit de facto eine katholische politische Partei bilden sollten. Die Hauptteilnehmer dieser Debatte waren allesamt führende katholische Politiker: Franz Xaver Dieringer (1811-1876), Professor für Theologie an der Universität Bonn, Hermann von Fürth (1815-1888), Rechtsanwalt aus Köln, Franz Joseph Buß (1803-1878), Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Freiburg sowie Ignaz Döllinger (1799-1890), Professor für Theologie an der Universität München. Ihre Diskussion drehte sich um die Frage, ob eine katholische Partei vorteilhaft für die Kirche sei, aber auch darum, ob Katholiken besser durch die Gründung ihrer eigenen Partei oder durch die Beteiligung an bereits bestehenden Parteien Einfluss auf das öffentliche Leben ausüben könnten.

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