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4. Kultur
Druckfassung

Überblick   |   1. Die Lage im Jahre 1945   |   2. Wirtschaft und Politik in den beiden deutschen Staaten   |   3. Die Rekonstituierung der deutschen Gesellschaft   |   4. Kultur   |   Empfehlungen zur weiterführenden deutschen Literatur   |   Empfehlungen zur weiterführenden englischen Literatur

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre forderte das ostdeutsche Regime die Schriftsteller auf, den „Bitterfelder Weg“ einzuschlagen. Diese von der Partei finanzierte Initiative sollte Mitglieder der Intelligenz mit dem Leben der Arbeiter und Bauern konfrontieren, was dazu führen sollte, dass ihre Erfahrungen schließlich zum zentralen Thema des Kulturschaffens würden. Den Parteiführern schwebte eine Literatur vor, die frei von „Dekadenz“ und „Kosmopolitismus“ war, Entwicklungen, die sie besonders auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs beobachteten. Dort experimentierten westdeutsche Schriftsteller mit einer Reihe von Genres von Gedichten bis zu Hörspielen und kritisierten wiederholt den von ihnen wahrgenommenen Mangel an Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit sowie die unkritische Befürwortung des „Wirtschaftswunders“, der Wiederbewaffnung und des Antikommunismus seitens ihrer Regierung und Mitbürger.

Architektur und Design in Westdeutschland zeichneten sich durch einfache Linien und den Verzicht auf Ornamente aus. Designer und Kritiker schrieben „sauberem“ Design (für Objekte, die von Schüsseln bis zu Stühlen reichten) in dem Versuch, eine moralische Erneuerung zu erreichen, eine Verbindung zurück zur Bauhaus-Tradition der Weimarer Republik zu schaffen und das Ansehen Deutschlands im Ausland zu rehabilitieren, erstaunliche Autorität zu. Da bestimmte Arten von Design mit bestimmten politischen Ansichten in Verbindung gebracht wurden, ist es nicht überraschend, dass der westdeutsche Design-Geschmack in der Nachkriegszeit zum Gegenstand zahlreicher Meinungsumfragen wurde. Einige Beispiele ostdeutscher Architektur, besonders Repräsentativbauten, bedurften der Ornamentik, so auch die Stalinallee in Ost-Berlin, eine Prachtstraße, deren Zweck es war, die Leistungen des Staatssozialismus zu veranschaulichen. An anderen Orten bedeutete der Bau effizienten modernen Wohnraums eine Kostenminimierung. Da sie von den wirtschaftlichen und modischen Trends der Zeit bestimmt wurden, waren sowohl die Einrichtungsgegenstände als auch die Mode, die in den 1950er Jahren von Zeitschriften in Ost und West propagiert wurden, sich recht ähnlich. Während die ostdeutsche Planwirtschaft größere Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Konsumgütern hatte als ihr westdeutsches Gegenstück, feierten Medien und Politiker in beiden Staaten ein Wohlstandsniveau, welches jenes der Vorkriegsjahre überstieg.

Amerikanische Kulturimporte wurden ebenfalls zu Schlachtfeldern des Kalten Krieges. Anfangs reagierten westdeutsche Politiker und Kommentatoren empfindlich auf die ostdeutsche Behauptung, Westdeutschland werde von amerikanischen Filmen, Musik und Moden überrannt. Doch schon bald argumentierten die Westdeutschen, dass jugendliche Ausdrucksformen und die Begeisterung für den Rock’n Roll etwa Zeichen der westdeutschen Freiheit und des Wohlstands seien. Damit spielten sie gleichzeitig auf die Unterdrückung des „offenen“ Tanzens in Ostdeutschland an. Einigen ostdeutschen Jazzfans gelang es, diesen populären amerikanischen Musikstil zu verbreiten, indem sie argumentierten, er sei das Produkt des amerikanischen „Negerproletariats“, doch die ostdeutschen Behörden blieben skeptisch. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurden sogar einige bekennende Jazz und Rock-Fans verhaftet. Im Gegensatz dazu erklärten Politiker in Westdeutschland den Jazz zur Musik der neuen Demokratie, wodurch er zu einem Teil des liberalen Konsenses während des Kalten Krieges wurde, der eine Verbindung zwischen ästhetischem Modernismus und westlichen politischen Modellen herstellte und jugendliche Rebellion eher als psychologisches Problem denn als politische Bedrohung betrachtete.

Politische und kulturelle Unterdrückung sowie wirtschaftliche Härte in der DDR und die Wahrnehmung größerer wirtschaftlicher Möglichkeiten in der Bundesrepublik veranlassten zwischen 1949 und 1961 mehr als 2,5 Millionen Ostdeutsche dazu, in den Westen abzuwandern. Die westdeutsche Regierung ermunterte zudem diese innerdeutsche Migration. Die Bundesrepublik stellte sich als Oase der Demokratie und des Wohlstands dar und gewährte anerkannten politischen Flüchtlingen besondere Unterstützung. Im Jahr 1961 war die ostdeutsche Führung derart besorgt über den Arbeitskräftemangel und ihr geschwächtes Image als Arbeiterstaat, dass sie die Sowjetunion um Erlaubnis bat – und diese erhielt – die Berliner Mauer zu bauen. Der Bau der Mauer begann am 13. August 1961. Während ihrer 28-jährigen Existenz schränkte die Mauer den persönlichen Kontakt zwischen Ost- und Westdeutschland erheblich ein. Dieses Thema wird im nächsten Band, Zwei deutsche Staaten 1961-1989, ausführlich behandelt.


Volker Berghahn und Uta Poiger



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