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2. Wirtschaft und Politik in den beiden deutschen Staaten
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Überblick   |   1. Die Lage im Jahre 1945   |   2. Wirtschaft und Politik in den beiden deutschen Staaten   |   3. Die Rekonstituierung der deutschen Gesellschaft   |   4. Kultur   |   Empfehlungen zur weiterführenden deutschen Literatur   |   Empfehlungen zur weiterführenden englischen Literatur

Im Jahr 1955 war die Sorge über die zukünftige Verfügbarkeit von Arbeitskräften so stark, dass die westdeutsche Regierung einen ersten Vertrag über die Anwerbung von Gastarbeitern mit Italien schloss. In den folgenden Jahrzehnten wurden ähnliche Verträge mit Spanien und Griechenland (1960) und der Türkei (1961) geschlossen. Westdeutsche Politiker betonten die wirtschaftliche Natur dieser Verträge, sahen sie aber auch als Möglichkeiten, ihre Bereitschaft zur Kooperation mit einer Reihe internationaler Partner zu beweisen.

Die ostdeutsche Regierung sah sich ebenfalls mit dem Problem konfrontiert, aus den Trümmern von 1945 eine dynamische Wirtschaft zu schaffen, die die Hoffnungen der Bevölkerung auf ein besseres Leben zu erfüllen imstande war. Vor dem Hintergrund der Stalinisierung Ostdeutschlands konnte das Ulbricht-Regime selbstverständlich nur daran denken, den Wiederaufbau mit Hilfe einer zentralisierten Planwirtschaft anzugehen, nachdem die Privatunternehmer enteignet worden waren. Neben der Verstaatlichung der Industrie begann Ost-Berlin auch mit der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Sozialisierung des Groß- und Einzelhandels. Bis 1953 produzierte dieses System so viele Widersprüche, Ungleichheiten, gebrochene Versprechen und Fehlplanungen sowie soviel Ärger und Wut in der Bevölkerung, dass hier eine der wichtigsten Ursachen für die Aufstände vom 17. Juni 1953 lag, wie die entsprechenden Dokumente zu dieser Krise zeigen.

Die Wiederzulassung von politischen Parteien und demokratische Wahlen auf der Lokal- und Regionalebene hatten schon vor der Gründung der beiden deutschen Staaten zur Belebung einer zivilen Infrastruktur geführt. Soweit es Westdeutschland betraf, erweist die Analyse der im statistischen Teil wiedergegebenen Wahltabellen ebenso wie der Meinungsumfragen, dass das parlamentarisch-demokratische System noch keineswegs gefestigt war. Das erste Adenauer-Kabinett musste noch eine Reihe kleiner Parteien in die Regierung nehmen, um die erforderliche Bundestagsmehrheit zu erreichen. Es gab zuerst noch viele verbitterte Wähler, die für die Parteien der radikalen Rechten oder Linken stimmten. Die Propaganda einiger dieser Parteien war so extrem, dass sich die Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit erhob. In Jahre 1952 wurde die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten. Vier Jahre später erklärte das Bundesverfassungsgericht auch die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) für verfassungswidrig.

Gleichwohl wurden immer mehr Bürger mit der Bundesrepublik versöhnt und waren bereit, die großen Parteien der Mitte zu unterstützen. Dieser Umschwung war nicht zuletzt auch auf die erfolgreiche Wirtschaftspolitik Erhards zurückzuführen, die den Westdeutschen die erhoffte Verbesserung ihres Lebensstandards lieferte. Währenddessen wurde das Mehrparteiensystem in Ostdeutschland insofern immer unbedeutender, als das Ulbricht-Regime seinen Stalinisierungskurs fortsetzte und die DDR praktisch zu einem Einparteienstaat umformte.

Nicht vergessen werden sollte zudem, dass der sich verschärfende Kalte Krieg auch politischen Zusammenhalt gegen die andere Seite erzeugte. In Westdeutschland lösten die Furcht vor einer sowjetischen Invasion und der Ausbruch des Korea-Krieges 1950 eine lange Debatte über den Wert des Schutzschildes der NATO aus, dessen Wirksamkeit teilweise auf dem Abschreckungseffekt von Atomwaffen beruhte. Zudem diskutierte man die Frage, ob die Bereitstellung konventioneller westdeutscher Truppen die Bundesrepublik gegen einen Angriff aus dem Osten sicherer mache. Das Carte Blanche-Manöver von 1955 bewies sehr drastisch, wie Westdeutschland aussehen würde, sollte es je zum Einsatz von taktischen Nuklearwaffen kommen. Am Ende wurde der starke Widerstand gegen die westdeutsche Wiederaufrüstung jedoch überwältigt. 1955 wurde die Bundesrepublik Mitglied der NATO. Ulbricht hatte derweil seit den frühen fünfziger Jahren eine paramilitärische Volkspolizei aufgebaut, und die DDR wurde 1955 in den sowjetisch gesteuerten Warschauer Pakt aufgenommen.

Mit der Integration der beiden deutschen Staaten in die jeweiligen Blöcke wurde gleichzeitig die Verfestigung der Teilung des Landes immer klarer. In den fünfziger Jahren gab es oft hitzige Diskussionen, ob und unter welchen Bedingungen die nationale Einheit wiedergewonnen werden könne. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Debatte 1952, als Stalin unerwartet eine Wiedervereinigung der beiden Teilstaaten unter der Voraussetzung vorschlug, dass die Adenauer-Regierung ihre Pläne zur Wiederbewaffnung und zur Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis aufgebe. Es ist möglich, dass der sowjetische Diktator nicht wirklich erwartete, dass der Westen auf diese Offerte eingehen würde. Auch später blieb Berlin mit seinen vier Sektoren der Spannungsherd, zu dem die Stadt seit der Blockade durch die Russen 1948 geworden war und der in den Krisen der späten fünfziger Jahre weiterschwelte, bis der Bau der Mauer eindeutige Verhältnisse schaffte.



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