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IV. Der organisierte Widerstand
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Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Das militärische und politische Führungspersonal im Widerstand gegen die Nazis hoffte darauf, vor einer möglichen deutschen Niederlage mit den Alliierten in Verhandlungen über Friedensbedingungen treten zu können. Sie wollten die Bedingungen einer solchen Übereinkunft dazu nutzen, um stärkeren Rückhalt innerhalb des Militärs zu gewinnen. Während die Alliierten bereit waren, jegliche Informationen des Widerstands zu empfangen, hielten sie jedoch an ihrer öffentlich verkündeten Politik der bedingungslosen Kapitulation fest. Schließlich beschlossen die Mitglieder des militärischen Widerstands, spät im Krieg noch zu handeln, um die völlige Zerstörung ihres Heimatlandes zu verhindern, um etwas an Ehre zu bewahren – und um zu zeigen, dass nicht alle Deutschen die Verbrechen und allumfassenden militärischen Ziele des Regimes unterstützten.

Der Kopf des berühmten Attentats- und Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 war Claus Graf Schenk von Stauffenberg (1907-1944), Mitglied des schwäbisch-katholischen Adels und Nachfahre des preußischen Generals, Reformers und Helden der Napoleonischen Kriege, August Graf Neidhardt von Gneisenau (1760-1831). Während er im April 1943 in Nordafrika kämpfte, war Stauffenberg schwer verletzt worden und verlor sein linkes Auge, seine rechte Hand und zwei Finger der linken. Nach seiner Genesung wurde er zunächst Stabschef im Allgemeinen Heeresamt und dann im Juni 1944 Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres, General Friedrich Fromm (1888-1945).

Stauffenberg und die anderen militärischen Widerständler veränderten bestehende Pläne mit dem Codenamen „Walküre“, nach denen das Ersatzheer eingesetzt werden sollte, um mögliche innere Unruhen gegen das NS-Regime zu unterdrücken. In ihren Händen wurde aus der „Operation Walküre“ ein Plan für einen durch Befehle zur Unterdrückung eines Aufstands getarnten Staatsstreich. General Fromm wusste von der Verschwörung, verweigerte jedoch letztlich eine aktive Beteiligung. Stauffenberg gehörte zu den wenigen Personen, die tatsächlich in der Lage waren, ein Attentat zu verüben, da er direkten Zugang zu Hitler hatte. Seit Mitte des Jahres 1944 nahm er an militärischen Lagebesprechungen in der „Wolfsschanze“, Hitlers Hauptquartier in Ostpreußen, teil. Am 20. Juli 1944 ließ Stauffenberg eine Bombe explodieren, die er in seiner Aktentasche in die Wolfsschanze gebracht hatte. Nachdem er die Explosion gesehen hatte, von der er glaubte, dass sie ihren Zweck erfüllt habe, flog er eilig nach Berlin zurück, um den Staatsstreich zu leiten.

Die Geschichte des Beinahe-Erfolges und letztlichen Scheiterns sowohl des Attentats als auch des Staatsstreichs ist wiederholt erzählt worden (12). Hitler überlebte die Explosion um 12.42 Uhr mit nur leichten Verletzungen. Nachdem sie mehrere Stunden auf schlüssige Informationen von Stauffenberg gewartet hatten, gingen seine Mitverschwörer in Berlin nach Plan vor und erteilten per Fernschreiber „offiziell Befehl“. Die Anordnung bestimmter Maßnahmen, wie die Eingliederung der Waffen-SS ins Heer und die Ausschaltung des SD zeigen, dass diese Befehle nicht dazu gedacht waren, das NS-Regime aufrecht zu erhalten.

Hitlers Überleben, entsprechende Radiomeldungen sowie seine eigene Radioansprache am selben Abend machten jegliche Chance, die der Staatsstreich hatte, zunichte, da Wehrmachtsoffiziere, die vielleicht gegen Himmler oder Goebbels gekämpft hätten, ihr Leben niemals gegen Hitler einsetzen würden. Zudem fehlte es dem Staatsstreich an Unterstützung in der Bevölkerung. Sein Scheitern und die folgenden Hinrichtungen von Nazi-Gegnern bedeuteten, dass sowohl der Krieg als auch die Rassenpolitik der Nazis noch fast weitere zehn Monate andauern würden.



(12) Vgl. Peter Hoffmann, Stauffenberg und der 20. Juli 1944. München: C. H. Beck, 1998; und Joachim Fest, Staatsstreich: Der lange Weg zum 20. Juli. Berlin: Siedler, 1994.

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