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I. Aufbau des NS-Regimes
Druckfassung

Überblick   |   I. Aufbau des NS-Regimes   |   II. Der NS-Staat   |   III. SS und Polizei   |   IV. Der organisierte Widerstand   |   V. Rassenpolitik   |   VI. Militär, Außenpolitik und Krieg   |   VII. Arbeit und Wirtschaft   |   VIII. Geschlechterrollen, Familie und Generationen   |   IX. Religion   |   X. Literatur, Kunst und Musik   |   XI. Propaganda und die Öffentlichkeit   |   XII. Region, Stadt und Land   |   XIII. Wissenschaft

Am Abend des 27. Februar 1933 wurde das Reichstagsgebäude in Brand gesetzt. Der mutmaßliche Brandstifter war Marinus van der Lubbe (1909-1934), ein junger niederländischer Kommunist mit zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit; er wurde sofort verhaftet und schließlich hingerichtet. Hohe Nazi-Funktionäre erklärten das Feuer sofort – und irrationalerweise – als unumstößlichen Beweis für eine kommunistische Verschwörung zum Sturz der Regierung. Victor Klemperer (1881-1960), damals Professor in Dresden, reagierte mit einem Eintrag in sein berühmtes Tagebuch auf den Vorfall: „ [ . . . ] ich kann mir nicht denken, daß irgendjemand wirklich an kommunistische Täter glaubt statt an bezahlte [Hakenkreuz-] Arbeit.“ (2) Ein überzeugender und detaillierter Bericht der Vorkommnisse wurde schließlich von von Rudolf Diels geliefert, der zu dieser Zeit Chef der preußischen politischen Polizei war. In seiner 1949 veröffentlichten Biographie beschreibt Diels Marinus van der Lubbe überzeugend als allein handelnden Brandstifter (3). Unter den Historikern, die sich mit dem Beweismaterial beschäftigt haben, herrscht heute ein mehrheitliches Einvernehmen darüber, dass er allein für den Brand verantwortlich war.

Als Reaktion auf den Reichstagsbrand entwarf Wilhelm Frick eine Notverordnung, die der Regierung eine stark erweiterte Polizeigewalt verlieh. Durch die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 wurden die verfassungsmäßig geschützte Rede-, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit sowie das Post- und Fernsprechgeheimnis bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahmung von Eigentum wurden erleichtert. Die Freiheit der Person wurde eingeschränkt und die Regierung war befugt, Personen ohne Verfahren auf mehr oder weniger legaler Grundlage zu verhaften. Zudem konnte die Reichsregierung in dem Fall, dass eine Länderregierung es versäumte, die „nötigen“ Maßnahmen „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ zu ergreifen, die Polizeigewalt und Verwaltung des Landes übernehmen und direkt handeln. Neben der Abschaffung der Bürgerrechte radierte diese Verordnung (die auch als Reichstagsbrandverordnung bekannt ist) aus, was vom alten System der Gewaltenteilung, welches das Verhältnis von Reichs- und Länderregierungen in Deutschlands föderalem System reguliert hatte, übrig war. Hindenburg unterschrieb die „Reichstagsbrandverordnung“ wie auch schon die „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ und gab damit den Nazis eine weitere schlagkräftige Waffe gegen ihre Gegner. Sie sollte sich als langfristige Maßnahme herausstellen – die Verordnung wurde während der gesamten zwölf Jahre des Dritten Reiches nicht aufgehoben.

Die Wahlen vom 5. März 1933 verschafften der NSDAP mit 43,9 Prozent der Stimmen und 288 Sitzen im Reichstag einen noch größeren Zuwachs. Zusammen mit ihrem Koalitionspartner, der DNVP (fast 8%) verfügten sie nun über eine knappe Mehrheit. Doch die Sozialdemokraten (18,3%), die Kommunisten (12,3%) und die katholische Zentrumspartei (11,2%) hatten es selbst unter diesen widrigen Umständen geschafft, den Großteil ihrer Wähler zu halten. Auch mit staatlichem Terror, Einschüchterung und Propaganda waren die Nazis noch nicht in der Lage, allein eine parlamentarische Mehrheit zu erreichen.



(2) Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1941. Berlin: Aufbau-Verlag 1999, S. 8 (Eintrag vom 10. März 1933).
(3) Rudolf Diels, Lucifer ante portas: … es spricht der erste Chef der Gestapo. Zürich: Interverlag, 1949, S. 142-44.


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