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Zukunftsschatten?: Daniel Frymann [Heinrich Claß] (1912)

Heinrich Claß (1868-1953), der hier unter dem Pseudonym Daniel Frymann publiziert, stand an der Spitze des ultranationalistischen Alldeutschen Verbandes. Der in Mainz lebende Jurist und eingefleischte Antisemit Claß trat als Verfasser polemischer Texte auf, in denen er die Notwendigkeit einer deutschen Expansion in Übersee und in Europa verteidigte.

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Alle Staaten um uns her in Europa, alle auf dieser Erdkugel, in denen der staatliche Lebensnerv, der Wille zur Macht noch nicht getötet ist, greifen um sich und erweitern ihr Einflußgebiet; es tun dies selbst Staaten, die innerlich so ungesund sind wie Frankreich und Rußland; es tun dies Staaten mit so unermeßlichem Besitz wie England und die nordamerikanische Union, endlich, es tut dies ein Staat, dessen Bevölkerung angefangen hat, zurückzugehen, wie Frankreich, wo also ganz gewiß ein Bedürfnis nach weiterem Kolonialboden nicht vorhanden ist. Alle greifen um sich, selbst das schwache Spanien wehrt sich seiner Haut und sucht in Marokko wiederzugewinnen, was es gegen die Vereinigten Staaten verloren hat – nur das Deutsche Reich ist „saturiert“ und beeilt sich, sobald irgendwo in einem für den Einfluß der Kulturstaaten in Betracht kommenden Lande ein Konflikt ausbricht, sein „politisches Desinteressement“ zu verkünden – wie es so schön heißt, und nur die Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen zu verlangen.

Wenn aber irgend ein Staat Anlaß hat, für die Vergrößerung seines Machtgebietes zu sorgen, so ist es das Deutsche Reich, denn seine Volkszahl vermehrt sich rasch, seine Industrie braucht neue Absatzgebiete, seine Gesamtwirtschaft den Boden zur Erzeugung tropischer und halbtropischer Produkte aller Art, deren Beschaffung uns heute in unerträgliche Abhängigkeit von anderen gebracht hat, wobei nur auf Baumwolle verwiesen sei. [ . . . ]

Man muß doch ins Auge fassen, daß die Zwecke überseeischen Landerwerbs mannigfach sind, je nach den wirtschaftlichen und nationalen Bedürfnissen, denen sie dienen sollen: industrielle Absatzgebiete und Boden für industrielle Rohstoffe brauchen wir, und zwar schon jetzt und unter allen Umständen – daneben aber auch Land zur Ansiedlung Deutscher, für die dereinst das Vaterland wegen Übervölkerung keinen Raum mehr hat. Dieses Land aber muß schon heute erworben, aufgeschlossen und gesichert sein, wenn es auch erst in zwanzig oder dreißig Jahren größeren Zuzug bekommen wird, denn man kann nicht von heute auf morgen eine Kolonie zur Aufnahme größerer Einwandererscharen herrichten und bis zu dem Zeitpunkt, wo sie hierfür gebraucht wird, kann und wird sie den andern Zwecken bereits dienen. [ . . . ]

Man kann also sagen, in unserer öffentlichen Meinung hat seit Bismarcks Abgang eine vollständige Wandlung sich vollzogen; das Wort von der deutschen Saturiertheit gilt nicht mehr; Entwicklung und Bedürfnis zeigen, daß wir wieder hungrig geworden sind, hungrig nach Land, und damit sind der deutschen Staatskunst Aufgaben gestellt, die über Bismarck hinausgehen. [ . . . ]

Besitz und Bildung fühlen sich politisch entrechtet, durch die Entscheidung der Massen mundtot gemacht. Die Unternehmer, die nach der Entwicklung der letzten Jahrzehnte doch zu den Pfeilern unserer nationalen Wirtschaft geworden sind, sehen sich der Willkür der sozialistisch verhetzten Arbeiterschaft ausgesetzt – jeder staatliche Schutz wird versagt.

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