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Auswirkungen einer Großen Koalition auf das Politikgeschehen (22. November 2005)

Kurz vor dem Beginn der Großen Koalition erörtert der Politikwissenschaftler Franz Walter Arbeitsweisen einer Großen Koalition und ihre Auswirkungen auf das politische System. Er wendet sich gegen pessimistische Auffassungen, die lediglich demokratische Defizite und einen Verlust an Bedeutung für den Deutschen Bundestag prognostizieren.

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Die Türen fest geschlossen

Ein Tipp für die große Koalition: Kompromisse entstehen am besten in elitären, der Öffentlichkeit strikt entzogenen Zirkeln



Unter meinen politikwissenschaftlichen Kollegen der 68er Generation ist die große Koalition nicht wohlgelitten. Sie argwöhnen, dass hinter dem Wunsch nach einer Allianz der beiden Großparteien zählebige Reste nicht gebrochener wilhelminischer Obrigkeitskultur stecken. Auch im linksliberalen Journalismus findet man dergleichen Interpretationen. Dabei ist die große Koalition keineswegs Bestandteil der politischen Kultur vom Kaiserreich bis zum Ende der alten Bundesrepublik.

Die große Koalition war historisch durchweg eine Rarität, die von links bis rechts stets bekämpfte Ausnahme. Die politische Kultur der Deutschen ist nicht durch die Allianz, nicht durch die Kooperation, nicht durch die Konkordanz zwischen den Weltanschauungen gekennzeichnet. Das fatale Charakteristikum der politischen Kultur in der deutschen Moderne ist vielmehr die Konfrontation, das Lagerdenken, die ideologische Verabsolutierung der eigenen Klasse und Grundüberzeugungen. In Deutschland waren die Parteien ganz im Unterschied zu anderen europäischen Ländern dezidierte Programm- und Weltanschauungsparteien, denen jeder Sprung über das eigene Milieu hinweg denkbar schwer fiel. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern Mitteleuropas, in denen es nie einen langen Zeitraum römisch-roter Koalitionen gab, wie man die Zusammenarbeit von Christdemokraten und Sozialdemokraten in den 1950er Jahren zu nennen pflegte.

Daher fiel die Annäherung zwischen Union und Sozialdemokraten zunächst mühselig aus. Die deutsche Politik ist durchformt von einem ungemein harten und – wegen der ungewöhnlichen Vielzahl von Regionalwahlen – nahezu chronischen Parteienwettbewerb in Wahlkämpfen. In kaum einem anderen Land dieser Welt werden die Parteien in derart viele Wahlschlachten hineingedrängt. Die Permanenz dieser Wahlauseinandersetzungen hat die schon im 19. Jahrhundert entstandene Mentalität des antagonistischen Gegnerhasses konserviert. Der Abend des 18. September 2005 hat dafür ein schönes, besser: deprimierendes Beispiel geboten. Man sah die Anhängerschaften von Parteien, die im Grunde gerade bitter verloren hatten, in frenetischen Jubel ausbrechen und sich enthusiastisch in den Armen liegen: einzig und allein, weil der Gegner ebenfalls taumelte. Das ist übrig geblieben von den ideologischen Kämpfen der Vergangenheit: die Häme, die Schadenfreude, die Herabsetzung des Gegners. Demgegenüber ist die Sicherheit der eigenen, positiv formulierten politischen Ziele längst zerronnen und perdu.

Doch die Kultur der politischen Feindschaft im permanenten Parteienwettbewerb beißt sich mit der anderen harten Realität deutscher Politik: dem allgegenwärtigen Zwang zur Zusammenarbeit. Die deutsche Republik ist institutionell verflochtener als nahezu jedes andere Regime unter den Demokratien Europas. Insofern sind die großen gesellschaftlichen Kräfte, ob sie es nun wollen oder nicht, zur Zusammenarbeit verdammt. Politik gelingt in Deutschland nur durch Konzertierung, Koordinierung, Kooperation. Die Konfliktrhetorik, gar eine reale, entschlossene Konfrontationsstrategie erzeugen lediglich Obstruktion und Paralyse. Die klare Entscheidung, das konzise Durchregieren, die „Politik aus einem Guss" (Angela Merkel) ist in diesem System gänzlich unmöglich.

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