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Die Stimmungslage in Bayern und anderen Bundesstaaten aus britischer Sicht (3. Dezember 1866)

Nach Preußens Sieg im Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 war die Zukunft offen. Annexionen im Norden und die erzwungene Eingliederung des Königreichs Sachsen in den Norddeutschen Bund hatten Preußens Macht und Ansehen enorm erhöht; doch noch blieben die süddeutschen Staaten unabhängig. Da viele Deutsche sich nach einem geeinten Deutschland sehnten, kursierten jede Menge Spekulationen darüber, wohin Bismarcks Expansionspläne als nächstes führen würden. Die folgende Einschätzung verfasste im Dezember 1866 Sir Henry Francis Howard (1809-1898), der als britischer Gesandter in Bayern von 1866 bis 1872 diente. In diesem vertraulichen Bericht an das britische Außenministerium fasst Howard die Stimmung sowohl in den annektierten Gebieten als auch in den süddeutschen Staaten zusammen. Obwohl es im britischen Interesse war, dass Preußen ein Bollwerk gegen mögliche zukünftige Aggressionen Frankreichs bildete, trübten andere diplomatische Komplikationen das Bild. Innenpolitisch erwies sich Preußens Hegemonie für jene als harter Brocken, die im Krieg auf der Verliererseite gekämpft hatten. Howard beschreibt zutreffend die damals in vielen Teilen Deutschlands gegenüber Preußen gehegte Bitterkeit.

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München, 3. Dezember 1866

Euer Gnaden,

Die preußischen Annexionen haben zweifellos die Einigung Deutschlands erheblich vorangebracht, aber der Konsolidierungsprozess wird ein langsamer sein, weil sie durch Eroberung und gegen den Willen der Bevölkerungen in den einverleibten Ländern herbeigeführt worden sind und die allgemeine Lage Deutschlands nach dem Krieg alles andere als geregelt oder zufriedenstellend ist.

In Preußen haben die Siege der Armee sowie ein unter allen Klassen weitverbreitetes Gefühl zugunsten einer Expansion die Opposition im Abgeordnetenhaus gespalten und der Regierung parlamentarische Erfolge verschafft, die kaum weniger bemerkenswert sind als diejenigen, die sie auf dem Schlachtfeld errungen hat. Doch nichtsdestoweniger ist der interne Konflikt in Preußen – wenngleich vorrübergehend ausgesetzt, um Graf Bismarcks Außenpolitik nicht zu durchkreuzen, deren Ergebnisse auf solch allgemeines Lob seitens aller Parteien im Lande stoßen – nicht gänzlich beendet und könnte jederzeit wieder ausbrechen, [und] das antiliberale System des innenpolitischen Regiments und die politischen Verfolgungen dauern noch immer wie vor dem Krieg fort.

In Hannover sehen die Leute die Eingliederung ihres Landes keineswegs in dem Licht, in dem sie von einigen politischen Autoren, entweder in Unkenntnis der tatsächlichen Umstände des Falles oder ohne Rücksicht auf die Wahrheit, dargestellt wird, nämlich als ein Segen. Ganz im Gegenteil sind die Hannoveraner, ein Volk ebenso hoch gebildet wie die Preußen, die bereit gewesen wären, Opfer zu bringen, um das allgemeine Wohl zu befördern und das gemeinsame Handeln Deutschlands zu stärken, nicht in der Lage, sich mit der Verbannung ihres Königshauses, der völligen Auslöschung ihrer gesonderten Existenz und Unabhängigkeit sowie dem Verlust ihrer Institutionen abzufinden. Zumal diese liberaler als die preußischen und jenen in vieler Hinsicht überlegen sind. Die Preußen stoßen, wie mir glaubhaft berichtet wird, bei allen Bevölkerungsklassen auf Feindseligkeit und Widerstand, außer in einem Teil der 1815 von Hannover annektierten Städte und Provinzen. Seitens der Preußen wird es daher ein hohes Maß an taktvollem Vorgehen, Geduld und Zeit erfordern, bis es ihnen gelingen kann, die Hannoveraner nach ihrer Art und in ihr System zu formen, und wie intelligent sie auch sein mögen, sie besitzen bekanntlich nicht das Talent, sich problemlos beliebt zu machen.

In Hessen-Kassel, wo die Einwohner einigen Grund zur Klage gegen ihren Herrscher und ihre Regierung hatten, und in Nassau, wo die Regierung nicht beliebt war, liegt die Sache zweifellos anders, aber dennoch gibt es in diesen Staaten weit weniger Bereitschaft, die neue Ordnung zu akzeptieren, als man erwartet hatte.

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