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Briefwechsel zwischen Wilhelm Furtwängler und Joseph Goebbels über Kunst und Staat (April 1933)

Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, verfolgte die Gleichschaltung im Kulturbereich durch die Einrichtung der Reichskulturkammer im September 1933. Sämtliche Kulturschaffende waren zur Mitgliedschaft verpflichtet, was für die aus rassischen oder politischen Gründen ausgeschlossenen Künstler ein praktisches Berufs- und Veröffentlichungsverbot zur Folge hatte. Die Kunstpolitik der Nationalsozialisten bestand in dem einfachen Grundsatz, Kunst habe im Dienst von Volk, Staat und Rasse zu stehen. Ihr Ziel war die gänzliche „Arisierung“ der Kunst, mit der die Diffamierung jüdischer und politisch nicht konformer Künstler als „entartet“ einherging.

Der berühmte Dirigent Wilhelm Furtwängler (1886-1954), der 1933 Leiter der Berliner Staatsoper war und später zum Vizepräsidenten der Reichsmusikkammer ernannt wurde, versucht in diesem Brief an Goebbels, die Autonomie der Kunst gegenüber der Politik zu verteidigen. Einer „Arisierung“ der Kunst konnte er nichts abgewinnen, so setzte er sich in den folgenden Jahren immer wieder für jüdische Musiker ein. Goebbels bat Furtwängler um Erlaubnis, den Brief zu veröffentlichen und Furtwängler willigte ein. Am 11. April erschien Furtwänglers Brief – zusammen mit einer Antwort Goebbels‘ – in der Vossischen Zeitung. Seine Autorität gegenüber dem bewunderten Künstler verteidigend, legt Goebbels dar, dass inzwischen alles, auch die Kunst, politisiert sei.

Furtwängler wurde später vorgeworfen, er habe sich zum kulturellen Aushängeschild der Nazis machen lassen, weshalb er nach dem Krieg zunächst Berufsverbot erteilt bekam, in seinem Entnazifizierungsprozess wurde er jedoch freigesprochen.

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I. Furtwängler an Goebbels


Sehr geehrter Herr Reichsminister!

Angesichts meines langjährigen Wirkens in der deutschen Öffentlichkeit und meiner inneren Verbundenheit mit der deutschen Musik erlaube ich mir, Ihre Aufmerksamkeit auf die Vorkommnisse zu lenken, die meiner Meinung nach nicht unbedingt mit der Wiederherstellung unserer nationalen Würde, die wir alle so dankbar und freudig begrüßen, verbunden sein müssen. Ich fühle hierbei durchaus als Künstler. Kunst und Künstler sind dazu da, zu verbinden, nicht zu trennen. Nur einen Trennungsstrich erkenne ich letzten Endes an: den zwischen guter und schlechter Kunst. Während nun aber der Trennungsstrich zwischen Juden und Nichtjuden, auch wo die staatspolitische Haltung der Betreffenden keinen Grund zu klagen gibt, mit geradezu theoretisch unerbittlicher Schärfe gezogen wird, wird jener andere, für unser Musikleben auf die Dauer so wichtige, ja entscheidende Trennungsstrich, der zwischen gut und schlecht, allzusehr vernachlässigt. Das heutige Musikleben, durch die Weltkrise, das Radio usw. ohnehin geschwächt, verträgt keine Experimente mehr. Man kann Musik nicht kontingentieren wie andere lebensnotwendige Dinge, wie Kartoffeln und Brot. Wenn in Konzerten nichts geboten wird, gehen die Leute eben nicht hinein. Darum ist die Frage der Qualität für die Musik nicht nur eine ideale, sondern schlechthin eine Lebensfrage. Wenn sich der Kampf gegen das Judentum in der Hauptsache gegen jene Künstler richtet, die – selber wurzellos und destruktiv – durch Kitsch, trockenes Virtuosentum und dergleichen zu wirken suchen, so ist das nur in Ordnung. Der Kampf gegen sie und den sie verkörpernden Geist, der übrigens auch germanische Vertreter besitzt, kann nicht nachdrücklich und konsequent genug geführt werden. Wenn dieser Kampf sich aber auch gegen wirkliche Künstler richtet, ist das nicht im Interesse des Kulturlebens. Schon weil Künstler, wo es auch sei, viel zu rar sind, als daß irgendein Land sich leisten könnte, ohne kulturelle Einbuße auf ihr Wirken zu verzichten. Es muß deshalb klar ausgesprochen werden, daß Männer wie Walter, Klemperer, Reinhardt usw. auch in Zukunft in Deutschland mit ihrer Kunst zu Worte kommen müssen.

Deshalb noch einmal: Unser Kampf gelte dem wurzellosen, zersetzenden, verflachend destruktiven Geiste, nicht aber dem wirklichen Künstler, der in seiner Art immer, wie man seine Kunst auch einschätzen möge, ein gestaltender ist und als solcher aufbauend wirkt. In diesem Sinne appelliere ich an Sie im Namen der deutschen Kunst, damit nicht Dinge geschehen, die vielleicht nicht mehr gut zu machen sind.

In vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
gez.: Wilhelm Furtwängler

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