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Dokumente - Parteien und die Große Koalition

Das politische System der Bundesrepublik ist geprägt durch die herausragende Rolle der Parteien sowie der Notwendigkeit auf Landes- und Bundesebene Koalitionsbündnisse zu schließen, um in den Parlamenten regierungsfähige Mehrheiten zu erhalten. Der Einfluss kleinerer Parteien auf das Politikgeschehen ist damit beträchtlich. Lange Zeit war die Koalitionsarithmetik ein Kalkül zwischen drei Parteien: CDU/CSU, SPD und FDP. Inzwischen hat sich ein Fünf-Parteien-System von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linkspartei fest etabliert (siehe auch Kapitel 10). Während Rechtsradikale Parteien im Bundestag nicht vertreten sind, fällt ihre Vertretung in den Landesparlamenten sporadisch und regional unterschiedlich aus. Die deutschen Parteien werden traditionell mit bestimmten Farben assoziiert: Schwarz für CDU/CSU, rot für SPD und Die Linke, gelb für FDP, grün für Bündnis 90/Die Grünen und braun für rechtsextreme Parteien. Die Palette der Koalitionsmöglichkeiten ist damit bunter und breiter geworden und wird in den Ländern auch zunehmend ausgeschöpft; Bündnisse mit rechtsradikalen Gruppierungen werden jedoch von allen anderen Parteien ausgeschlossen.

Auf Bundesebene bildet in der Regel eine der beiden großen Parteien (entweder CDU/CSU oder SPD) eine Koalition mit einer kleineren Partei, um eine Mehrheit im Bundestag zu erhalten. Lange Jahre war es allein die FDP, die in Regierungskoalitionen das „Zünglein an der Waage“ spielte. Die Grünen sind seit ihrem Einstieg in die rot-grüne Koalition (zusammen mit der SPD) im Jahre 1998 als nationale Regierungspartei akzeptiert. Es wird immer wieder spekuliert, wie lange die SPD auf nationaler Ebene ein Linksbündnis vermeiden kann, das neben der Linkspartei auch Bündnis 90/Die Grünen mit einschließt (Dok. 12). Die Linkspartei hat sich 2007 als eine nationale Partei etabliert; sie ging aus der 2005 gegründeten Wahlallianz der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) hervor (Dok. 2).

Das Machtverhältnis innerhalb einer Koalition ändert sich entscheidend, wenn eine Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD gebildet wird. Die Große Koalition der Jahre 1966 bis 1969 wurde heftig bekämpft und lange Zeit als „undemokratisch“ kritisiert (siehe Bd. IX, Kapitel 2). Die Große Koalition, die im Herbst 2005 ihre Arbeit aufnahm, wurde hingegen allgemein mit Gelassenheit empfangen. Im Vergleich zu den sechziger Jahren ist heute das politische System stabiler; demokratische Spielregeln sind akzeptiert und die Verfassung hat einen hohen Stellenwert (Dok. 1). Parteipolitisch stellt eine Große Koalition für die Regierungsparteien und die Oppositionsparteien eine Herausforderung dar (Dok. 4). Die beiden großen Volksparteien müssen zusammenarbeiten und dabei gleichzeitig ihr parteipolitisches Profil mit Blick auf die nächsten Wahlen wahren. Sie können entweder gemeinsam grundlegende Reformen in Angriff nehmen oder durch gegenseitige Blockaden das politische Geschehen lahm legen. Die Oppositionsparteien rechts und links von der Mehrheit, da stimmenmäßig eindeutig in der Minderheit, müssen sich profilieren und sich von den anderen Parteien programmatisch absetzen, um ihre Chancen bei der nächsten Wahl zu stärken (Dok. 5 und 9).

In der Zwischenzeit ist es gang und gebe geworden, am Anfang einer Koalition ein detailliertes Programm mit den Regierungsplänen für die nächsten Jahre aufzustellen. Angesichts der oft beklagten Reformblockaden beinhaltete der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD, der im Herbst 2005 geschmiedet wurde, eine Reihe von Punkten, die seit vielen Jahren auf der politischen Reformagenda standen (Dok. 3; siehe auch Kapitel 11 und 12). Nach vergeblichen Anläufen wurde eine Reform des föderativen Systems im Sommer 2006 endlich verabschiedet. Sie brachte auf verschiedenen Gebieten eine Umorganisation der Bund-Länder-Beziehungen mit sich und verringerte die Anzahl der Bundesgesetze, die der Zustimmung durch den Bundesrat bedürfen (Dok. 7). Eine zweite Föderalismusreform, die sich mit der Begrenzung von Kreditaufnahmen für Bund und Länder befasste, wurde 2009 verabschiedet. Andere Politikbereiche, wie der der inneren Sicherheit, haben in den vergangenen Jahren aufgrund der erhöhten Terrorismusgefahr und dem Anwachsen rechtsradikaler Aktivitäten an Bedeutung gewonnen (Dok. 6). Insgesamt war die Bilanz nach einem Jahr Großer Koalition verhalten und eher abwartend, da sich weder ein eindeutiger Reformruck noch völlige Starre eingestellt hatte (Dok. 8).

Allen Unkenrufen zum Trotz hielt die Große Koalition über die gesamte Legislaturperiode von vier Jahren. Das abschließende Urteil war mehrheitlich positiv; das Bündnis konnte zunächst von einem globalen Wirtschaftsboom profitieren und bewährte sich in der Wirtschaftskrise 2008/2009, auch wenn in vielen Bereichen, wie der Renten-, Gesundheits- und Familienpolitik, weitere Reformen anstehen (Dok. 11). Die Zusammenarbeit zwischen CDU/CSU und SPD hat vor allem auch deshalb funktioniert, weil die CDU gesellschaftspolitisch moderner geworden ist (Dok. 13); sie konnte ihre Stimmen im Wahlkampf 2009 weitgehend erhalten, während die SPD weiter an Stimmen verlor (Dok. 10). Die ersten Monate der im Herbst 2009 geschmiedeten Koalition von CDU/CSU und FDP waren von Kompetenzgerangel und steuerpolitischen Zerwürfnissen geprägt (Dok. 14), bevor die Euro-Krise alle anderen Themen zeitweilig in den Hintergrund drängte.

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