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Dokumente - Systemtransfer und Transformation

Die Einzelheiten des Beitritts der DDR zum politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen System der Bundesrepublik wurden im Einigungsvertrag geregelt, aber der Prozess der Umstrukturierung war bereits seit Anfang 1990 im Gange. Für viele westliche Besucher war der Osten Deutschlands Neuland, und sie entdeckten bei ihren Reisen mit Faszination und Neugierde eine Region, in der die Zeit anscheinend stehen geblieben war (Dok. 4). Persönliche Erlebnisberichte zeigen die Schwierigkeiten des Neuanfangs, aber auch die Anpassung an neue Gegebenheiten (Dok. 6). Die Umbenennung von Städten und Straßennamen markierte einen symbolischen Bruch mit der Vergangenheit (Dok. 5).

Am 3. Oktober 1990, dem Tag der Vereinigung, wurden die 1952 aufgelösten Länder wieder eingeführt. Ihre im Vergleich zu den westdeutschen Ländern niedrige Bevölkerungszahl und ihr geringeres Wirtschaftsaufkommen beförderten von Anfang an Fragen nach ihrer Zukunft im föderalen Bundesstaat Deutschland (Dok. 1). In den Kommunen standen die neu gewählten Vertreter vor einer Fülle zu bewältigender Aufgaben (Dok. 9). Die Mitglieder der neu etablierten Landesparlamente mussten innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl von Gesetzen verabschieden und neue Verfassungen ausarbeiten. Zumindest in den ersten Jahren nach der Vereinigung setzte sich der Politikstil der ostdeutschen Politiker von dem der westdeutschen ab (z.B. wurde die Fraktionsdisziplin weniger hoch eingeschätzt), doch hat hier inzwischen eine Angleichung stattgefunden (Dok. 10).

Die im Herbst und Winter 1989/90 neu gegründeten politischen Parteien gingen wie die Sozialdemokratische Partei (SDP) oder der Demokratische Aufbruch (DA) entweder in den westlichen Parteien auf oder verschwanden aufgrund niedriger Wählergunst von der politischen Bühne. Während die westlichen Parteien die Mitgliedschaft und erhoffte Wählerschaft ihrer Schwesterparteien im Osten mit offenen Armen willkommen hießen (Dok. 3), war für sie die Nachfolgepartei der SED, die „Partei des Demokratischen Sozialismus“ (PDS), ein Relikt der kommunistischen Diktatur, die sie zu isolieren versuchten. Die PDS entwickelte sich im Osten zu einer wichtigen Regionalpartei, die allerdings im Westen kaum eine Wähler- und Mitgliederbasis hatte (Dok. 8). Vordergründig hat bei der Entwicklung der Parteien seit 1990 weitgehend eine Übertragung des westlichen Systems auf die ehemalige DDR stattgefunden. Doch Wählerschaft, Mitgliedschaft und Wahlverhalten unterscheiden sich weiterhin zwischen Ost und West (Dok. 14). Die Akzeptanz demokratischer Prinzipien wird durch ein hohes Maß an Skepsis und Parteienverdrossenheit begleitet. Im Vergleich zum Westen schlägt sich das in den neuen Bundesländern unter anderem in niedrigeren Wahlbeteiligungen und gelegentlichen Wahlerfolgen für radikale Rechtsparteien nieder (Dok. 15).

Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), die Einheitsgewerkschaft in der DDR, löste sich im September 1990 auf und empfahl seinen Mitgliedern den Eintritt in den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Wie bei der Parteienentwicklung, unterschieden sich auch im Bereich der Interessengruppen Erwartungen und Praxis. Theoretisch wurde durch den Mitgliederzuwachs die Rolle der Gewerkschaften verstärkt (Dok. 2). In der Praxis wurde sie jedoch durch die schwierige wirtschaftliche Transformation im Osten stark geschwächt. Beschleunigt durch eine Hochlohnpolitik, die nicht durchsetzbar war, verloren die Gewerkschaften nicht nur an Mitgliedern, sondern auch ihre starke Stellung als Tarifverhandlungspartner.

Die Umstrukturierung der politischen Strukturen im Osten Deutschlands wurde von einschneidenden personellen Veränderungen begleitet. Viele ehemalige DDR-Bürger verloren ihre berufliche Stellung, da sie entweder politisch belastet waren oder weil ihre Arbeitsplätze aus Effizienzgründen „abgewickelt“ wurden. In praktisch allen Bereichen wurden Führungspositionen durch westdeutsche Kräfte ersetzt (Dok. 13). Besonders schwierig war die Personalfrage bei Institutionen wie der Nationalen Volksarmee und dem Außenministerium der DDR, deren Personal als besonders systemtreu angesehen wurde (Dok. 11). Die Arbeit westdeutscher Beamter in den neuen Bundesländern erleichterte und beschleunigte den Um- und Aufbau der Verwaltungen, schürte aber auch Ost-West Ressentiments (Dok. 7). Die gewaltigen Veränderungen nach 1989 erforderten von den ostdeutschen Bürgern ein gehöriges Maß an Flexibilität, boten aber auch Chancen, von denen vor allem die jüngere Generation profitierte (Dok. 12). Das Beispiel der Wiedervereinigung Deutschlands zeigt die Möglichkeiten und die Grenzen einer politischen und wirtschaftlichen Transformation, wobei deutlich wird, dass es leichter ist, Institutionen und Strukturen zu verändern, als Menschen, Ideen und Verhaltensweisen. Zwanzig Jahre nach dem Fall dem Mauer war das Echo in den Medien vorwiegend positiv; die Bundesrepublik ist mit der Vereinigung bunter und vielfältiger geworden (Dok.16).

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