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Die „Meynungen des Graffen Kaunitz über das auswärtige System” (24. März 1749)
Wenzel Anton Kaunitz-Rietberg (1711-94) formulierte seine Ansichten in aller Ausführlichkeit nach dem Aachener Frieden (1748), der die österreichische Niederlage gegen Preußen eingestand und die Abtretung der reichen österreichischen Provinz Schlesien an Friedrich II. festlegte (deren Rückeroberung Kaunitz als Österreichs höchste Priorität ansah). Die Sorge wegen Preußens Herausforderung der österreichischen Machtstellung bewegte Kaunitz dazu, eine Beendigung der langjährigen österreichisch-französischen Rivalität anzustreben, um Frankreich auf die Seite Österreichs gegen Preußen zu ziehen (was im bevorstehenden Siebenjährigen Krieg von 1756-63 tatsächlich geschah). Kaunitz empfahl eine Neubelebung der Institutionen des Heiligen Römischen Reiches mit der Zielsetzung, Österreich in Deutschland auf Kosten Preußens zu stärken.



„Meynungen des Graffen Kaunitz über das auswärtige System”


Allergnädigste Kayserin, Königin, und Frau Frau. Euer Kayser[liche] Königl[iche] May[es]t[ä]t haben allergnädigst zu verordnen geruhet: »daß ein jeder Conferenz-Minister seine Meinung zu Papier setzen, und solche in 14 Tagen zu allerhöchsten Handen beförderen solle: Was nach nunmehro geschloßenem Frieden, anscheinenden Unruhen in Norden, gegen Engelland, Franckreich, und dem Reich für ein Systema zu ergreiffen wäre?« Wobey zugleich der erlauchteste Endzweck dahin ausgedrucket wird: »Wie höchst nöthig seye, daß aus einem Principio und Maaß-Regel zu Werck gegangen werde.«

Diesem allergnädigsten Befehl, so den 11ten hujus [11. März 1749] zu meiner Wißenschafft gelanget, leiste hiermit allerunterthänigste Pflichtschuldigste Folge; [ . . . ]

Und damit Euer Kayser[lichen] Königl[ichen] May[es]t[ä]t nicht verborgen bleiben möge: Ob ich von der dermahligen Beschaffenheit, und Gedenckens-Art der grösten Mächten in Europa, einen wahren, oder falschen Begrieff gefaßet; Und ob folglichen meine über das künfftige Staats-Systema zu eröffnende Meynung aus irrigen, oder gegründeten Suppositis herfließe; So glaube zu Erreichung dieser Absicht nöthig zu seyn, daß ich fordersamst die Gesinnung, und Absichten der auswärtigen Höfen, so, wie ich sie ansehe, in möglichster Kürzte abschildere, und demnächst in nähere Erwegung eingehe, was Euer Kayser[liche] Königl[iche] May[es]t[ä]t von einem jeden Hof zu hoffen, oder zu beförchten haben dürfften; Worauf so dann die natürliche Folge erwachset, in was für Umständen das Durchläuchtigste Ertz-Hauß selbsten sich dermahlen befinde, und was so wohl zu Abwendung des besorglichen Übels, als zu Erlang- und Beförderung der wahren Wohlfahrt für diensame Mittel einzuschlagen seyen.


Umb nun hierbey einige Ordnung zu beobachten, so sind die Europaeische Höfe nach der gemeinen Vorstellung, so sich in Staats-Geschäfften seit vielen Jahren von der Balance zwischen dem Bourbonischen- und Durchläuchtigsten Ertzhauß gemacht worden, in Drey Haupt-Classen einzutheilen, nemlichen

1mo in jene, so als natürliche Freunde,

2do so als natürliche Feinde des Durchläuchtigsten Ertzhaußes anzusehen; und

3tio in jene Höfe, so nach Unterschied der Fällen, sich zu einem, oder dem anderen Theil schlagen dürfften.

Unter die Erste Classe ist sonder Zweiffel die Cron Engelland vor anderen zu setzen.

[ . . . ]

So viel nun die zweyte Classe, nemlich die jenige Europaeische Mächten, so unter die natürlichen Feinde des Durchläuchtigsten Ertzhaußes zu rechnen, fordersamst aber die Ottomannische Pforte anbetrifft, so kan von derselben künfftigen Unternehmungen umso weniger ein gesichertes Urtheil gefället werden.

[ . . . ]

Soviel nun den König in Preussen anbetrifft, so verdienet Er sonder Zweiffel in der Classe der natürlichen Feinden oben an, und noch vor der Ottomannischen Pforten gesetzet, mithin als der ärgste- und gefährlichste Nachbar des Durchläuchtigsten Ertzhaußes angesehen zu werden.

Was die Monarchie durch den Verlust von Schlesien für einen weesentlichen, und ungemeinen großen Schaden erlitten, deßfalls enthalte mich billig, das empfindliche Angedencken vieles zu erneuren. Wann aber auch die Einkünfften zu verschmertzen wären, so findet doch solches bey denen allzugegründeten Betrachtungen nicht statt, daß durch Schlesien nicht etwa ein auswärtiges Glied, sondern ein haupt-Theil des Cörpers abgerißen, und andurch einem Feind, der eine an der Zahl überlegene, mit allem wohlversehene, wohl exercirt- und disciplinirte Armée beständig auf denen Beinen, und zugleich das Geld, noch etliche solche Arméen aufzurichten, und zu unterhalten, in denen Coffres liegen hat, die Weege frey gemacht, und eröffnet worden, bey anderwärts entstehenden Unruhen, und wann Er es nur seinem Interesse gemäß befindet, in das Hertz der Erb-Länder einzubrechen, und der gantzen Monarchie den Letzten tödtlichen Streich beyzubringen.

Da Er auch keinen Augenblick zweifflen, und sich in alleweege darauf versehen wird, daß Schlesien dem Durchläuchtigsten Ertzhauß gantz ohnverschmertzlich falle, und zu dessen Wiederherbeybringung keine thunliche Gelegenheit werde absäumet werden; so folget hieraus von selbsten, daß die Preußische Politique, zu Erhaltung Ihrer Conquete, beständig dahin gerichtet seye, Österreich immer mehrers zu schwächen, mithin ihm die Kräfften und Mittel, zu ausführung seiner weitern Absichten zu benehmen, und daß solchergestalten die beyden Höfe, auch für das Künfftige in der grösten Eifersucht, und ohnversöhnlichen Feindschafft fortleben werden.


Ein mehrers ist schon von denen Preußischen gefährlichen Vergrößerungs-Absichten bey Gelegenheit des Rusßischen Hofs angemercket worden.

Um soviel diejenige Mächten, so unter die Dritte Classe zu rechnen, als den Römischen Hof, Portugal, Dännemarck, Schweden, Pohlen, Neapel, und Sardinien, die Republiquen in Italien, den Hertzog von Modena, die Chur- und Fürsten des Teutschen-Reichs [etc. etc.] anbetrifft; So haben zwar Dieselbe gleichfalls ihren starcken Einfluß, in dem Universal-Staats-Systemate, und verdienete eine jede insbesondere, nach ihrer Verfaßung Zusammenhang, wiedrigen oder gut anscheinenden Gesinnung, wie auch nach denen thunlichsten Mitteln, durch welche sie in das allerhöchste Interesse mehrers einzuziehen seyn aufmercksamst erwogen zu werden.

Da sich aber der gleichen Speciale Betrachtungen nicht in wenige Bögen einschräncken, und erschöpffen laßen, auch sich bereits bey denen beträchtlichsten Höfen etwas weitläuffig geäußeret worden; So bleibet nur noch übrig, die Bedenckliche Umstände, worinnen Euer Kayser[liche] Königl[iche] May[es]t[ä]t sich selbsten, in ansehung der auswärtigen Staats-Geschäfften vor dermahlen befinden, in etwas zu berühren, und so dann zufolg des allergnädigsten Befehls, mein weniges Dafürhalten, wegen dem künfftig einzuschlagenden Systemate, in aller unterthänigkeit zu eröffnen.

Der innerliche Zustand einer Monarchie ist zwar das Erste, und hauptsächlichste, was bey allen Staats Berathschlagungen, mit einschlaget, und in behörige Erwegung zu ziehen; Ich übergehe aber solchen um deßwillen mit ehrerbietigstem Stillschweigen, weilen von demselben noch keine vollständige Kanntnüß besitze; Jedoch kan Niemanden verborgen seyn, daß, nachdem Euer Kayser[liche] Königl[iche] May[es]t[ä]t die äußerste Kräfften, zu Aufrechterhaltung Cron und Scepters, gegen so viele mächtige Feinde anspannen müßen, und eine größere Macht, als von keinem Dero glorreichesten Vorfahren geschehen, in das Feld gestellet, [ . . . ] nothwendig die Lande nebst dem Aerario sehr erschöpffet, und anbey zu verwundern seye, wie es bishero möglich gewesen, zu so vielen Nothwendigkeiten Rath, und Hülffe verschaffen zu können. [ . . . ]

Nicht weniger bedenckliche Umstände, äußeren sich auch bey der Beschaffenheit, und dem Zusammenhang der auswärtigen Staats-Geschäfften, und kan ohne mindeste Vergrößerung, als eine offenbare Wahrheit vorausgesetzet werden, daß das Durchläuchtigste Ertzhauß in Ansehung aller seiner Alliirten, und besorglichen Feinden, sich niemahlen, auch nicht einmahl währendem Krieg, in so häcklichten, weitaussehenden, und critischen Umständen, als vor dermahlen befunden.

Die Alliirte sind nunmehro theils entwaffnet, theils gäntzlich entkräfftet. [ . . . ]

Engelland allein, und ohne Holland ist, so lang das genannte alte Systema empor gekommen, noch nie zu vermögen gewesen, dem Durchläuchtigsten Ertzhauß beyzuspringen; Und bey berührung der Englischen Gebrechen, und deren vermuthlichen Ursachen, habe bereits meine wenige Gedancken geäußert, was sich in dergleichen Fällen von der ernannten Cron zu versprechen seye; deßfalls das jenige, was bey dem Krieg A[nno] 1733 vorgefallen, die nähere Belehrung giebet.


Die gröste Hoffnung, beruhet nach den dermahligen Umständen, auf Rußland; Sie ist aber für sich allein nicht zureichend, und der Gefahr der Veränderung unterworffen; Auch werden dem ernannten Hof die Nordische Unruhen, wann sie in würcklichen Krieg ausbrechen, ohnendem genugsame Beschäfftigung geben.

Es hat sich aber nicht nur die vorhienige Stärcke der Österreichischen Allianzen verminderet, sondern sich zugleich der Zustand, in Ansehung der besorglichen Feinden, ungemein verschlimmeret; Und da vormahlen die Lande nur auf Zwey Seiten der nahen Feindlichen Gefahr ausgesetzet waren; So sind sie es nunmehro durch die neue Angräntzung des Spanischen Printzen, D[on] Philipp, und des Königs in Preußen auf 4 Seiten, und sind wenigstens Drey von diesen Nachbarn vor sich allein, dem Durchläuchtigsten Ertzhauß an Macht nicht nur gleich, sondern auch zum Theil sehr überlegen; Daß auch der ernannte König in sehr bedencklicher Einverständnüß mit andern Höfen stehe, deßfalls ist bereits mehrere Erwehnung geschehen.

Nachdem also die dermahlige Staats-Umstände, sonder zweiffel von den vorhienigen sehr unterschieden, und sich in den weesentlichen Stücken gantz abgeändert haben; So scheinet mir, hieraus die natürliche Folge zu erwachsen, daß das sogenannte alte Systema, welches überhaupt in Vereinigung des Durchläuchtigsten Ertzhaußes, und der See-Mächten, gegen das Bourbonische Hauß bestanden, und zu seiner Zeit keiner gegründeten Ausstellung unterworffen war, vor dermahlen nicht mehr den gantzen Zusammenhang der Geschäfften in sich faße, noch als eine generale Regul und Richtschnur dienen, sondern nur nach Unterschied der Fällen, eingeschlagen werden könne.

Da nun die Frage zu beurtheilen: Was dann nach denen jetzigen Umständen, für ein Systema dem allerhöchtsten Dienst am gemäßesten seye? So wird für die erste, und haupt-Staats-maxime vorausgesetzet.

Daß, weilen der Verlust von Schlesien nicht zu verschmertzen, und der König in Preußen, als der gröste, gefährlichste, und unversöhnlichste Feind des Durchläuchtigsten Ertzhauses anzusehen; Also auch dießseits die erste, gröste, und beständige Sorgfalt dahin zu richten, wie sich nicht nur gegen des ernannten Königs feindliche Unternehmungen zu verwahren, und sicher zu stellen, sondern wie Er geschwächet, seine Übermacht beschräncket, und das Verlohrne wieder herbey gebracht werden könne.

Zufolg dieses letzteren Grund-Satzes, erfordert meine treueste Pflicht-Schuldigkeit, ohne Scheu, und Rückhalt mein weniges dafürhalten, ehrerbietigst zu eröffnen: Ob, und auf was für eine Art, die erwehnte große Absicht zu erreichen möglich; Und was dießfalls für Mittel einzuschlagen seyn?


Das alte Systema ist nur gegen das Bourbonische, und so wenig gegen das Chur-Brandenburgische-Hauß gerichtet gewesen, daß solches vielmehr unter die dießseitige ersprießliche Neben-Alliirte gezehlet, und aufgenommen worden; Worinnen sich also ein essentialer Unterschied von den vorigen Zeiten äußert.

Daß auch der König von Preussen sich einen starcken Anhang in Engelland erworben, und von dieser Cron keine directe, und ernstliche Mitwürckung, um dem besagten König Schlesien wieder zu entreißen, anzuhoffen seye, bestärcken verschiedene bereits angezogene, und andere wichtige Betrachtungen. [ . . . ]

Allein nach Anleitung der nöthigen Prudenz, ist sich in keine Offensiv-Maaßnehmungen einzulassen, wann nicht die Hoffnung die Gefahr sehr überwieget, und so weit menschliche Beurtheilung zureichet, an einem glücklichen Ausschlag nicht zu zweifflen stehet; [ . . . ]. Dahero auch mit Preussen auf das neue allein anzubinden, nicht ein[mal] in dem Supposito, daß alle übrige Mächten sich nicht darein mischen, sondern hiebey stillsitzen würden, rathsam zu seyn scheinet; Indeme die Preußische Macht, der Kayser[lichen] Königl[ichen] wo nicht sehr überlegen, doch wenigstens vor gleich zu halten, und die Erschöpffung der Erb-Landen hiebey nicht in Vergeß zu stellen.

Es ist also meines wenigen Ermessens, nach Beschaffenheit der jetzigen Staats-Umständen in keinem Fall einige Möglichkeit, zu Ausführung der bemerckten großen Absichten, vorzusehen, es seye dann, daß die Cron Franckreich auf ein- oder die andere Art vermöget werden könnte, nicht nur denen dießseitigen Unternehmungen sich nicht zu wiedersetzen, sondern zu solchen directè, oder wenigstens indirecte die Hände zu biethen, und andurch den Ausschlag zu geben.

Ich bescheide mich hiebey von selbsten, daß, die Sache in bemerckte Weege einzuleiten, wegen der zu übersteigenden großen Schwierigkeiten, fast ohnmöglich anscheinen müße; Zumahlen Franckreich, wie bereits angemercket worden, so grossen, und essentialen Nutzen in der Erhaltung der jetzigen Königl[ich-] Preussischen Macht findet, auch für eine dießseitige Staats-maxime zu halten, daß sich beständig gegen jener Cron gewohnte Kunst-Griffe zu verwahren, und daß denen Frantzösischen Worten, und gut anscheinenden Besinnungen, bloß und allein in dem Fall zu trauen seye, wann jene mit ihrem wahren Interesse, als ihrem eintzigen politischen Grund-Gesätz übereinkommen.

Gleichwie aber dieses Suppositum sich nicht nur auf Euer Kayser[liche] Königl[iche] May[es]t[ä]t sondern zu gleich auf die Generalität, und alle übrige Mächten erstrecket; So kan auch hieraus mit aller Wahrscheinlichkeit der fernere Schluß gezogen werden, daß, wann Franckreich ein grösseres, und annehmlicheres Interesse bey dem Umsturtz, als bey Erhaltung des Königs in Preußen fände, alsdann auch jene Cron gar wohl zu vermögen seyn dürffte, sich so eyffrig für das Letzte anzuwenden, als es bishero das Erstere mit vieler Angelegenheit befördert.


Wie es nun solchergestalten auf die Frage hauptsächlich ankommet: Ob dann der Cron Franckreich ein solches größeres Interesse verschafft werden könne?

[ . . . ]

10mo So viel schlüßlichen den dermahligen Zustand des Römischen Reichs anbetrifft, so ist dieser sonder Zweiffel eines der weesentlichen Stücken, so in das Systema quoad Universum, seinen starcken Einfluß hat, und um so größere Aufmercksamkeit verdienet, je mehr Gebrechen sich hierbey äußeren, und je mehr die Gefahr täglich anwachset, daß die Schwäch- und Unterdruckung der kleineren Ständen, wie auch die undanckbare Geringschätzung der allerhöchsten Kayserlichen Authorität, den völligen Verfall, und gäntzlichen Umsturtz nach sich ziehen werde. Das Übel entspringet zwar aus verschiedenerley Ursachen, aber am meisten aus der Königl[ich] Preussischen Ober-Macht; Und könnte diese nach Maaßgab des umständlich erläuterten dießseitigen Vorschlags, gedämpffet, mithin die gröste Quelle des Unheils gestopffet werden, so stünde sonder Zweiffel eine weit vergnüglichere Verfaßung im Römischen Reich anzuhoffen, und durch die gewohnte allerhöchste Reichs-Vätterliche Sorgfalt zur Vollkommenheit zu bringen. Inzwischen sind auch andere, obschon nicht so kräfftige Hüllfs-Mittel keinesweeges außer Acht zu laßen; Und da deßfalls bereits sehr stattliche Gutachten verfaßet, und die Sache erschöpffet worden, so nehme die Freyheit, mich auf solche allerunterthänigst zu beziehen, und nur überhaupt so vieles anzumercken: Daß 1mo Der Grund-Satz einem jeden Stand ohnpartheyische- und schleinige Justiz ohne alle Rucksicht angedeyhen, und sich hievon durch die eingerißene Verwirr- oder andere Betrachtungen keinesweeges abhalten zu laßen, nicht nur an sich der Großmuth des Glorreichst regierenden Reichs[-]Oberhaupts würdig, sondern auch die gesicherste Richtschnur seye, der Übelgesinnten zudringliches Betragen, wo nicht zu beschräncken, jedoch zu beschämen.

2do Da auf dem Reichs-Hof-Raths-Collegio ein großer Theil der Kayser[lichen] authorität beruhet, so verdienet auch solches eine besondere und beständige Obsorge, damit deßen innerliche Verfaßung, und ein jedes Mitglied sich rein, und von allen verdienten Vorwürffen frey erhalten, auch seiner Obliegenheit ein vollständiges Genügen leisten möge.

3tio Nachdem aber der Lauff der Justiz am meisten durch die zur Gewohnheit werdende Recursus ad Comitia gehemmet wird; So wäre fordersamst zu wünschen, und sich dahin zu bearbeiten, daß ein bündiger Reichs-Schluß zu Stand gebracht, und wenigstens aller Recurs in Justiz-Sachen, wo kein Gravamen commune klar hervorscheinet, völlig abgeschnitten, auch wann sich schon ein dergleichen Gravamen äußerte, dennoch die anmaßliche Effectus Suspensivi, als wiederrechtlich gäntzlich benommen werden könnten. Um aber hierunter des großen End-zwecks nicht zu verfehlen, dürffte vor allen Diengen erforderlich seyn, mit den bestgesinneten Chur- und Fürstl[ichen] Häußern, in vertraute Correspondenz zu tretten, und das Werck dergestalt vorzubereiten, daß ein vergnüglicher Reichs-Schluß nicht wohl entstehen könne. Stünde auch


4to Die höchst nöthige Verbeßerung der Reichs-Executionen zu bewürcken, so würde andurch zu Aufrechterhaltung der Justiz, und des Kayserlichen Ansehens nicht wenig beygetragen.

5to [ . . . ] Euer Kayser[lichen] Königl[ichen] May[es]t[ä]t allerhöchster Befehl hat mich berechtigt, meine ohnmaßgebliche Meinung über ein- so anderes etwas umständlich, und ohne Ruckhalt allerunterthänigst zu eröffnen.

Ich unterwerffe solche bloßer dienges der erläuchtigsten Beurtheilung, und wann ich hierunter zu weit gegangen, oder aus Schwäche der Einsicht, der allerhöchsten Willens Meinung verfehlet; So verhoffe umb so ehender allermieldeste Vergebung zu erhalten, da alles aus einem reinen, treuestem, auch von aller Gemüths-Regung entfernetem Dienst-Eyfer hergefloßen; Und Euer Kayser[liche] Königl[iche] May[es]t[ä]t von mir allergnädigst versichert seyn können, daß, wann künfftighin ein solches Systema, so meinen Gedancken schnur gerad entgegen lauffet, vorgeschrieben werden sollte, solches mir bey denen künfftigen Berathschlagungen, zur eintzigen Richtschnur dienen, und ich meine geäußerte privat-Meynung, völlig aus dem Gedächtnüß verbannen werde.

Wienn den 24ten Martii 1749.

W[enzel] A[nton] Graff zu Kaunitz-Rittberg




Quelle: Expansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des ancien régime. Herausgegeben von Johannes Kunisch. Berlin: Duncker & Humblot, 1986, S. 168-239.

Abgedruckt in Helmut Neuhaus, Hg. Zeitalter des Absolutismus 1648-1789. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 5. Stuttgart: P. Reclam, 1997, S. 298-312.