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Jacob Burckhardt zu Bismarcks Vermächtnis (1890)

Jacob Burckhardt (1818-1897) war ein schweizerischer Kunst- und Kulturhistoriker mit Schwerpunkt auf der Renaissance. Er hatte von 1858 bis zu seiner Emeritierung 1893 eine Professur in Basel inne. Der folgende Text stammt aus zwei Briefen, die Burckhardt im März und September 1890 an seinen Freund Friedrich von Preen (1823-1894) schickte, nicht allzu lange nach dem durch Wilhelm II. erzwungenen Amtsverzicht Bismarcks. Burckhardt blickt mit düsterer Vorahnung in die Zukunft Deutschlands, und obwohl er nie ein großer Bewunderer des früheren Kanzlers gewesen war, zeigt sich Burckhardt besorgt, dass Bismarcks Abgang einen Rückschlag für das Prinzip der Autorität gegenüber dem Reichstag und anderen demokratischen Institutionen bedeutete. Die politischen Parteien, so legt Burckhardt nahe, seien einer größeren Verantwortung unwürdig, und Bismarcks Abtritt könnte zudem internationale Auswirkungen haben. Im zweiten Brief drückt er seine langjährige Abneigung gegen Bismarcks Kulturkampf gegen die katholische Kirche aus. Er stellt auch fest, dass Bismarcks berüchtigte Intoleranz gegenüber konträren Ansichten ihn ungeeignet machten als Figur, die eine „pietätvolle“ Einschätzung seitens der Historiker verdient hätte.

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I. Jacob Burckhardt an Friedrich von Preen


Basel, 25. März 1890

Ja wohl, was für Zeiten! jetzt können Sachen, Interessen und Menschen in den Vordergrund kommen, neben welchen der ganze Ameisenbau unseres bisherigen Daseins in Abgang geräth. Unser liebenswürdiges XIX. Jahrhundert hat die Menschen derart an die Berechtigung jeder, auch der bedenklichsten. Neuerung gewöhnt, daß jetzt, gegen das Ende hin, gar kein Haltgebieten mehr helfen wird. Sehen Sie sich nur um, was für im Grunde gute Leute gegenüber von dem, was «Zug der Zeit» heißt, völlig spatzenköpfig und ohne jegliche Widerstandskraft sind. Die bisherigen Parteien kommen mir vor wie eine Gruppe von Schauspielern welche gegen die Rampe hin unter bisherigem hellem Oberlicht gesticulirt haben und so stehen geblieben sind, nunmehr aber von hinten und von unten durch einen starken röthlichen Schein beleuchtet werden. Jeder liest seine Zeitungen auf seine Weise; mir hat zB: bei den Unruhen von Köpenick das Eine Eindruck gemacht, daß die Excedenten einem förmlichen militärischen Commando folgten, d. h. daß die Dienstpflicht und ihre Disciplin anfangen könnten auf die andere Seite überzugehen. Schon die bisher latente gewöhnliche Randalirsucht wird mehr vortreten und mit den bisher üblichen Mitteln immer schwerer unten zu halten sein. Ein ganz kleines Muster hatten wir letzten Samstag hier an den deutschen Stellungspflichtigen und ihrem trotzigen und drohenden Lärm in der untern Stadt wie er noch nie in diesem Grade vorgekommen.

Und in diesen Zeiten «zerschmettert» man den Kanzler. Nicht als ob derselbe eine Mixtur gegen die großen Gefahren im Sack bei sich trüge, aber es wäre doch wohl gethan gewesen, wenigstens nach außen Alles, was nach Autorität aussieht oder daran erinnert, nach allen Kräften zu schonen. Der Artikel möchte auf einmal ziemlich rar werden. Einen störrischen Reichstag wird man heimsenden und dann ohne Reichstag regieren können, aber wahrscheinlich nur noch kurze Zeit. Vielleicht folgen dann auf irgend ein Ereigniß hin Ministerien welche der Krone durch die Parteien auferlegt werden, und mit denselben eine völlige Streberwirthschaft, aber Alles in rascher Abwechselung von Personen und Tendenzen. Inzwischen werden sich im übrigen Europa die welche bisher unterducken oder beim deutschen Reich an die Kost gehen mußten, zu einer mehr oder weniger muntern und frechen Selbständigkeit erheben. [ . . . ]



II. Jacob Burckhardt an Friedrich von Preen


Basel, 26. September 1890

Ihre Mitunterzeichnung für das Bismarckdenkmal billige ich vollkommen, so widrig mir das Individuum von jeher gewesen ist und so sehr uns in der Schweiz sein Thun geschadet hat, denn sein Kulturkampf (ich muß es wiederholen) hat neben dem Treiben der französischen Radicalen eine ermuthigende Wirkung für jede Art von Verneinung und Auflösung gehabt. Für Deutschland aber war B. gradezu Anhalt und Standarte jenes Mysteriums Autorität und in Ihrer Stellung können Sie den hohen Werth eines solchen Imponderabile nach allen Seiten schätzen gelernt haben. Diejenigen welche nur den zufällig sehr Mächtigen in ihm ästimirten und beschmeichelten, mögen sich von dem Gestürzten abwenden; was dagegen Sie schätzten, war der Schöpfer und Befestiger einer Gesammtmacht ohne welche alle Einzelkräfte auch der tapfersten Nation sich vielleicht gegenseitig lahm legen und aufzehren müssen. Daneben freilich bitte ich für meine Person um gütige Nachsicht für die Schadenfreude womit ich die seitherigen Interview’s betrachtet habe: Denn noch hat Niemand so gegen den eigenen Ruhm «gewüthet» wie dieser Mann. Die rein geschichtliche Betrachtung seines Wesens ist nun durch ihn selber von aller Pietät dispensirt. [ . . . ]



Quelle: Jacob Burckhardt an Friedrich von Preen, Briefe vom 25. März 1890 (I), und September 26, 1890 (II), in Jacob Burckhardt, Briefe, Hg. Max Burckhardt, Bd. 9, 1886-1891. Basel: Schwabe and Co., 1980, S. 238-39, 268-69.

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