GHDI logo

Auszüge aus zwei Predigten von Friedrich August Tholuck: „Was ist die menschliche Vernunft wert?” (um 1840) und „Wann ist die größere bürgerliche Freiheit für das Volk ein Glück?” (1848)

Seite 9 von 9    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


besonders fürchten, daß gerade, indem jetzt die Blicke sich auf keine andere Freiheit richten, als auf die von bürgerlichen Schranken, die Freiheit nur desto mehr aus den Augen verloren werde, welche der Sohn Gottes uns im Worte seiner Wahrheit geben will. Schon vertritt für große Haufen die Rednerbühne die Stelle der Kanzel, Volksversammlungen sind ihre Gottesdienste geworden, und der Staat der Götze, vor dem sie ihre Kniee beugen. Fort mit dem Gotte über uns und den Jenseitigkeiten vor uns! So wohl muß es dem Volke noch im Staate auf Erden gemacht werden, daß es keinen Himmel mehr zur Seligkeit braucht. Ihr Thoren! Disteln säet ihr und wollt Feigen ernten, Basiliskeneier brütet ihr und wollt euch wundern, wenn die Ottern euch anzischen? Baut nur, baut eueren gottvergessenen Staat! Was Gott nicht baut, das geht zugrund, wenn's gleich auf eh'rnen Mauern stund. Ein solcher Staat ohne Gottesfurcht kann nicht heilsam bestehen. Er ist ohne Demut, und wo keine Demut, da keine Unterordnung, und ohne Unterordnung keine Ordnung. Wo keine Gottesliebe, da ist keine reine Menschenliebe, und wo die nicht ist, da ist Egoismus. Dünkel und Eigennutz, Wind haben sie gesäet, Sturm werden sie ernten. Wo Gottes Liebe nicht im Menschen herrscht, da herrscht die Sünde, und wer der Sünde dient, der ist der Sünde Knecht. Könige haben sie mit Ruten gezüchtigt, Diktatoren und Despoten, vom Dünkel und eignen Vorteil getrieben, werden an ihre Stelle treten und sie mit Skorpionen geißeln. Thoren, wenn nur die bürgerlichen Einrichtungen besser werden, dann, meint ihr, soll die Erde zum Paradiese werden? Das ist die Thorheit des Fieberkranken, der den innern Brand loszuwerden hofft, wenn man ihn nur an eine kühlere Stelle legte. Doch wäre es auch, daß ihr euch hier auf Erden ein Haus gebaut hättet, ganz nach eueren Wünschen, vergängliche Häuser sind doch alle irdischen Staaten und Ordnungen; in einem Paradiese, das vergänglich ist, kann aber des Menschen Herz nicht satt und voll werden. [ . . . ]



Quelle: A. Tholuck’s Ausgewählte Predigten, Hg. Leopold Witte. Gotha: Friedrich Andreas Perthes, 1881, S. 230-33, 240-43, 273-75, 276-83.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite