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Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt ihre schrittweise Umsetzung der Reformen (27. November 2006)

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Dieses eine Beispiel zeigt die ganze internationale Dimension unserer Zeit. Ich bin überzeugt: Wir müssen es schaffen, die internationale Dimension der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie sich im 21. Jahrhundert zeigt, zu erkennen und zu nutzen.

Und ich bin überzeugter denn je: der politischen Kraft in Deutschland, der es gelingt, die Fähigkeit und die Bereitschaft aufzubringen, die Soziale Marktwirtschaft auf die dafür notwendige neue Stufe zu heben, sie also tatsächlich umfassend zu erneuern, der gehört die Zukunft.

Warum?

Ganz einfach, auf den Punkt gebracht: 1998, als wir in die Opposition gehen mussten und unsere programmatische Erneuerung begonnen haben, da waren die Probleme in unserer Wahrnehmung noch hauptsächlich deutsch. Zwar haben wir in der Analyse schon vieles darüber hinausgehende erkannt. Aber dennoch: Bei den Lösungen haben wir – verkürzt gesagt – deutsch gedacht.

Heute, 2006, sind sie – in der Analyse und der Lösung – tatsächlich global.

Das hat Folgen.

Darüber, ob wir in der Lage sind, aus den vielen richtigen Einzelmaßnahmen – vom Kombilohn über betriebliche Bündnisse für Arbeit, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bis hin zu einem vereinfachten Steuerrecht, einer Gesundheits- und Pflegeversicherungsreform, der Föderalismus II-Reform und vielen mehr – darüber, ob wir also in der Lage sind, aus all diesen vielen richtigen, zum Teil hart erstrittenen, Einzelmaßnahmen für unser Land ein Gesamtkonzept zu machen, das auch den globalen Ordnungsrahmen im Blick hat – darüber entscheidet sich die Zukunft unseres Landes.

Und nebenbei – darüber entscheidet sich auch die Mehrheitsfähigkeit einer der beiden Volksparteien. Darüber entscheidet sich, wer auch bzw. wieder in Zukunft 40 Prozent plus X erreichen wird.

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In dem Moment aber, in dem die Wirtschaft globalisiert, entzieht sie sich zunehmend der bisherigen Ordnungsfunktion des Nationalstaates. Darin steckt eine politische Dramatik. Wirtschaftsunternehmen planen weltweit, Regierungen dagegen haben national das Wohl ihres jeweiligen Volkes im Auge zu behalten. Das Kapital fängt an zu wandern, entzieht sich den gewohnten nationalen Bewertungen, und plötzlich werden Dinge absolut gesetzt, die früher anderen ethischen Bewertungen unterlagen: zum Beispiel die Dividende am Ende des Jahres, der Aktienkurs und der Börsenwert.

Natürlich weiß ich, dass Unternehmen Gewinne brauchen. Aber was steht im Mittelpunkt?

Für uns Christdemokraten steht der Mensch im Mittelpunkt. Das war so und das muss so bleiben!

Das ist der Auftrag des christlichen Menschenbildes. Es hat um die Würde jedes einzelnen Menschen zu gehen!

Das kann gar nicht oft genug gesagt werden, denn die Dramatik der heutigen ökonomischen Herausforderungen ist mit den Umwälzungen zu vergleichen, die vor 200 Jahren die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschütterte. Damals wurde die feudale Agrarwirtschaft von der modernen Industriegesellschaft abgelöst.

Es entstand die erste soziale Frage mit der Ausbeutung der Arbeiter, mit Kinderarbeit, Nachtarbeit von Frauen und großer Armut. Eine gültige und wirksame Antwort auf diese soziale Frage gelang nach vielen Irrwegen und katastrophalen Irrtümern erst der Sozialen Marktwirtschaft. Nicht der Wechsel von Agrar- zur Industriegesellschaft war das Problem, aber es brauchte eine lange Zeit, bis der dafür menschliche Ordnungsrahmen entwickelt war: Die Soziale Marktwirtschaft.

Heute ist es die Entwicklung zur Wissensgesellschaft, die den Gestaltungsanspruch der Politik im 21. Jahrhundert auf eine neue Probe stellt. Das weltweit verfügbare Wissen wächst explosionsartig. Neues Wissen veraltet gleichzeitig immer schneller. Moderne Datennetze ermöglichen eine rasche globale Verbreitung von Wissen und lassen neue Instrumente der internationalen Kapitalmärkte entstehen.

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