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Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (Rückblick)

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»Xantippe war ’ne arge Hur,
X mal X macht hundert nur.«

Mit ihrem ganzen Gewicht lastete die Langeweile in der Schule auf uns; es war ein Herzensgaudium, wenn wir unisono unsere Lungenkraft classenweise am Buchstabiren üben können. Sonst sucht man sich zu zerstreuen durch plastische Arbeiten aus Papier, das zu Hähnchen, Schiffchen, Salzfässern und Aehnlichem geformt wurde [ . . . ]

Gar häufig wurden Nachmittags, nach dem Schulschlusse, die Bücher hinter einen Stein versteckt, um nicht am Spielen zu hindern, auch wohl auf dem Eise als Schlitten benutzt. Keine Seltenheit war es, junge Leute erst mit dem siebenzehnten oder achtzehnten Jahre die Elementarschule verlassen zu sehen, wenn sie ausstudirt, das Titelbuch oder – gar die Zeitung lesen konnten. Eine rühmliche Ausnahme von diesem Treiben machte die evangelische Elementarschule unter der Leitung des würdigen Lehrers Almenräder. [ . . . ]

Und welche Freude voller Poesie des Kindes Herzen, der »Zinter Klohs!«. Ein wirkliches Kinderfest. Mit welcher Innigkeit beteten wir um die Bescheerung, welche der »heilige Mann« brachte, in dessen Geleit der »Hans Muff«, der unartigen Kinder Schreck. Hoch klopfend vor Angst war jedes Kinderherz, besuchte am Vorabende des verhängnißvollen Tages der Bescheerung, des 6. Decembers, der heilige Mann, in Begleitung seiner Magd, der heiligen Barbara, und des Hans Muff die Häuser mit seinen Spenden und ernsten Mahnungen, oder wurden von unsichtbarer Hand die Aepfel, Nüsse und ähnliche Kostbarkeiten unter die knieend betende Kinderschaar geworfen. Wie andächtig aus tiefstem Herzen klangen die Vater unser der Kleinen, tönte von der Straße oder auf der Diele die Klingel.

Was war es für einen Familien-Jubel, stellten wir am Tage vorher, unsere Schüssel und auch wohl unsere Schuhe auf [ . . . ] Der Hauptreichthum bestand [ . . . ] herkömmlich aus Speculatius, Aepfeln und Nüssen.

Es war ein wahres Kinderfest, reich an der Poesie des Glaubens. Und wie lange, lange suchte man den Schein von sich zu halten, daß man wisse, wer der heilige Mann sei, weil dann die Bescheerungen aufhörten. Und in diesen Kinder-Bescheerungen machte sich noch keine Ostentation geltend. Ein Bild, oder gar ein bunter nürnberger Bilderbogen, welche Freude! Wurde auch das Eine oder Andere der Spielsachen, besonders die Puppen der Schwestern, aus forschender Neugierde untersucht und zerstört, die Hauptsachen schloß die Mutter aber sorgsam fort und beglückte uns nur damit an hohen Tagen; – immer neu blieben die Spielsachen und erbten in den reicheren Familien auch wohl von Geschlecht zu Geschlecht. Das Haushalten in allen Dingen verstanden unsere Väter, unsere Mütter [ . . . ]

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