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Ein Stadtplaner beschreibt das neue Regierungsviertel in Berlin (2001)

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V. Schwerpunkt Spreeinsel

Der Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt hat im Lauf der sechsjährigen Planungsphase die einschneidendsten Änderungen erfahren müssen. Bis 1994 ging der Bund noch davon aus, hier mindestens drei Ministerien unterzubringen. In dem 1993 für den Bereich der Spreeinsel, also das Gebiet um den Schlossplatz, ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb waren das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium sowie ein Bundeskonferenzzentrum vorgesehen.* Um dieses Volumen unterzubringen, war der Abriss des den östlichen Teil des Schlossstandortes einnehmenden Palastes der Republik, des Staatsratsgebäudes und des DDR-Außenministeriums als verbindliche Vorgabe formuliert. Mit anderen Worten: Mit einem Schlag sollten die gesamten DDR-Staatsbauten dieses Bereichs verschwinden. Doch nicht genug damit: Nach den Vorstellungen des damals durch die FPD-Politikerin Irmgard Schwaetzer geführten Bundesbauministeriums wären auch das ehemalige Staatsbankgebäude auf dem benachbarten Friedrichswerder sowie das ehemalige Reichsluftfahrtministerium abgerissen worden.

Diese Pläne offenbarten tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und Berlin und stießen auch in der Fachöffentlichkeit auf erheblichen Widerspruch.** Die beim Spreeinsel-Wettbewerb im Mai 1994 getroffene Entscheidung für ein von Bernd Niebuhr entworfenes „Stadthaus“ in den räumlichen Abmessungen des ehemaligen Schlosses brachte aufgrund der unausgewogenen Nutzungskonflikte keine Lösung, sondern führte nur in neue Schwierigkeiten.*** Während die Frage nach einem adäquaten Nutzungsprogramm für diesen Ort ungelöst beiseite geschoben wurde, machten die Protagonisten eines Wiederaufbaus des Schlosses mit der Fassadensimulation vom Sommer 1993 erfolgreiche Publikumswerbung für ihre Sache, und das DDR-Außenministerium verschwand.


VI. Das Altbaukonzept von Klaus Töpfer

Die Wende kam mit dem seit Ende 1994 amtierenden Bundesbauminister Klaus Töpfer, der allen Abriss- und Neubauplänen für Bauten des Bundes eine klare Absage erteilte. Sein 1995 vorgelegtes Standortkonzept vollzog den Schwenk zu einem bestandsorientierten Vorgehen, das Gebäude aus allen Zeitschichten, auch der DDR-Ära, einschloss. Dieses Konzept konnte nicht nur das schlagende Argument der geringeren Kosten aufweisen, es führte auch aus dem immer belastender gewordenen Perfektheitsanspruch an den Berlin-Umzug heraus, hinter dem sich die unvermindert tätigen Berlin-Gegner in den Verwaltungen verbargen. Zudem setzte es ungeahnte Potenzen für die städtebauliche Aktivierung der im Zentrum vorhandenen Altbauten frei und ermöglichte eine differenzierte denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Bestand.

Für den Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt hatte dies doppelte Konsequenzen. Die Abrisspläne für das Staatsratsgebäude und die ehemalige Reichsbank wurden endgültig aufgegeben, langfristig jedoch hat der Bereich für die Regierungsfunktionen des Bundes rapide an Bedeutung verloren. Daran änderte auch die vorübergehende Unterbringung des Kanzleramts im Staatsratsgebäude bis zum April diesen Jahres nichts. Der Bund wird in diesem Bereich in Zukunft nur durch das westlich der Spreeinsel gelegene Auswärtige Amt vertreten sein – dies allerdings auf höchst eindrucksvolle Weise. Der strenge, sich leicht der Spreebiegung anpassende Altbau der Reichsbank, der zu DDR-Zeiten Sitz des Zentralkomitees der SED war, hat durch den neuen Kopfbau der Architekten Müller und Reimann eine moderne, innerstädtisch sehr angemessene Neuinterpretation erfahren. Das wohlproportionierte Wechselspiel von Glasfassaden, Natursteinflächen und Innenhöfen stellt einen angenehmen Kontrast zur schier endlosen Reihung der Fensterachsen des Altbaus dar. Vom nördlichen Lichthof des Neubaus, der für Ausstellungen und Veranstaltungen öffentlich zugänglich ist und ein kleines Café beherbergt, öffnet sich der Blick auf den halbwegs wiederhergestellten Stadtraum um den Werderschen Markt.



* Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau mit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Internationaler städtebaulicher Ideenwettbewerb Spreeinsel Berlin, Bonn-Berlin 1994.
** Vgl. Bruno Flierl, Berlin baut um – Wessen Stadt wird die Stadt? Berlin 1998, S. 107ff.
*** Vgl. Bundesministerium für Raumordnung.

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