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4. Konfessionen
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1. Augenzeugen und Familien   |   2. Regierung   |   3. Reformation   |   4. Konfessionen


Die Geschichte der deutschen Reformation ist häufig als die nationale Befreiung der Deutschen von Mittelalter und römischer Kirche dargestellt worden. Eine neuere Sichtweise betrachtet die Reformation hingegen als erste Stufe des konfessionellen Zeitalters, während derer sich eine relativ stabile convivencia (Koexistenz) der Konfessionen im Heiligen Römischen Reich herausbildete. Die drei deutschen Konfessionen – lutherisch, katholisch und reformiert (calvinistisch) – bestanden aus großen, territorial übergreifenden, leicht zu identifizierenden und mehr oder weniger religiös disziplinierten Gemeinschaften. Sie unterschieden sich durch Gottesdienstpraktiken und doktrinäre Lehren, hatten jedoch ähnliche Motivationen und disziplinäre Ziele.

Zum Zeitpunkt des Todes Luthers 1546 hatte sich die Lage kaum beruhigt. Die lutherische Konfession durchlebte drei Jahrzehnte erbitterter doktrinärer Kämpfe; in den 1560er Jahren entstand der Calvinismus als dritte, illegale Glaubensrichtung; und bis zum Jahr 1600 war das Wiedererstarken des Katholizismus so weit fortgeschritten, dass die Protestanten im Reich in die Verteidigung gezwängt wurden. Dennoch bestand die politische Zusammenarbeit über konfessionelle Grenzen hinweg – ein Ergebnis des Jahres 1555 – mehr als fünfzig Jahre lang fort. Die Konfessionen bauten stabile neue Formen von Kirchen und Schulen auf; die Reichsstände unterstützten das Reich in seinem Konflikt mit den osmanischen Mächten in Ungarn; die Integration der Reichsjuden schritt zügig voran, und die langwierige Kampagne der Hexenverfolgung erreichte ihren ersten Höhepunkt. Der Dreißigjährige Krieg von 1618-1648 unterbrach diese Entwicklungen natürlich, doch demonstrierte er auch das Vermögen der unvollständigen Reform der Reichsregierung, sich der gewaltsamen Durchsetzung der unvollständigen religiösen Reform zu widersetzen. Zwar scheiterte 1634 der erste große Versuch eines Friedensschlusses und der Restauration, doch konnte 1648 die alte konfessionelle Ordnung, deren Spannungspunkte nun entschärft waren, wiederhergestellt werden.

A. Konfessionelle Epoche

In der Zeit nach 1555 schien das Reich sich in Richtung einer stärkeren Monarchie und eines einzigen, protestantischen Glaubens zu bewegen. Auch der Augsburger Religionsfrieden hielt den Vormarsch des Protestantismus nicht auf. 1574 unterbreitete Lazarus von Schwendi (1522-84), ein ehemaliger kaiserlicher General, Kaiser Maximilian II. (reg. 1564-76) seine Vision des Reiches als einem von starker Hand regierten Königreich. Schwendi war ein Patriot, der sich nach der Wiederherstellung der Tugenden und Macht der deutschen Urahnen sehnte; er war ein Monarchist, der das Reich von spanischen und osmanischen Tyrannen bedroht sah; und er war ein Protestant, der in Luthers Reformation die Befreiung der Deutschen von der römischen Kirche sah, welche seiner Ansicht nach kurz vor dem Aussterben stand. Innerhalb von zwei Jahren verstarb jedoch der Kaiser und seine Vision des Reiches begann zu verblassen.

Die Generation der protestantischen Leitfiguren nach 1555 schaffte die Institutionen und Werkzeuge, welche ihre Kirchen über die künftigen Jahrhunderte erhalten sollten. Die Kirchen wurden inspiziert, von Götzen und ungeeigneten Pastoren gesäubert und mit umfangreichen neuen Kirchenordnungen ausgestattet, die bis ins Detail festlegten, wie die Kirchen zu führen seien. Viel wurde von lutherischen Kirchenordnungen aus Kursachsen, Württemberg und Braunschweig sowie von einer reformierten Kirchenordnung aus der Kurpfalz übernommen. Die Schulen wurden ebenfalls reformiert oder auf rein utilitaristischen Prinzipien basierend neu gegründet. Ihre klassisch ausgerichteten Lehrpläne waren dazu bestimmt, die jungen Untertanen für den Kirchen- oder Rechtsdienst vorzubereiten. Der Geist der Regulierung, Disziplin und Ordnung war allgegenwärtig, und wenn die Katholiken dabei zu Nachzüglern wurden, so lag dies am Mangel der Mittel und nicht der Notwendigkeit. Gemeinsam mit den normativen Glaubensbekenntnissen – der Augsburger Konfession für die Lutheraner und dem Heidelberger Katechismus für die Reformierten – formten diese Ordnungen die protestantischen Glaubensrichtungen zu Gemeinschaften des Glaubens und der liturgischen Praxis aus.

Doch nicht jeder verhielt sich in religiösen Dingen diszipliniert. Während einige sich schlichtweg weigerten, den dominanten Glauben anzunehmen, verhielten andere, als „Nikodemiker“ bezeichnete (nach dem Pharisäer Nikodemus, der Jesus in der Nacht besuchte), sich äußerlich konform, jedoch nicht innerlich. In einigen Regionen wie Westfalen regelten lokale interkonfessionelle Einigungen die Benutzung der örtlichen Kirchen und ihrer Kirchhöfe. In vier südlichen Reichsstädten hatte der Religionsfrieden von 1555 die Koexistenz und paritätische Regierung festgelegt. Augsburg, eine Stadt von 50-60.000 Einwohnern, wurde von einem konfessionell paritätisch zusammengesetzten Magistrat regiert und behielt dies mit zwei Unterbrechungen während des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) bei. In einer Stadt von dieser Größe war es Christen möglich, als Nonkonformisten zu existieren, nicht in einer engen Gemeinschaft, sondern als Individuen, die lebten und arbeiteten wie andere auch. Einige von ihnen waren wohlhabende Handwerksmeister, so z.B. der Goldschmied David Altenstetter (ca. 1547-1617), der den Magistraten beim Verhör von seiner Bewunderung der Schriften des Spiritualisten Caspar Schwenckfeld erzählte. Altenstetter besuchte manchmal den katholischen Gottesdienst, manchmal den lutherischen und manchmal gar keinen.

Die Wiederbelebung des Katholizismus trat im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts zutage. 1574, zwei Jahre nachdem Schwendi sein Memorandum verfasst hatte, informierte Peter Canisius (1521-97), ein niederländischer Jesuit aus Nimwegen, Rom über den beklagenswerten Zustand der Kirche im Reich. Sein Korrespondent war Giovanni Kardinal Morone (1509-80), Präsident der deutschen Kongregation und Roms Experte für deutsche Angelegenheiten. Das düstere Bild, welches Canisius zeichnet, sowie die Mittel, die er vorschlägt, um Abhilfe zu schaffen, spiegeln beide sowohl das Regensburger Reformprogramm von 1524 als auch die Erlässe des Konzils von Trient wieder. Er forderte eine neue Disziplin von Klerus und Laienstand, die Reinheit der Zeremonien, die Unterweisung der Laien im Katechismus, sowie die Zusammenarbeit mit den katholischen Herrschern, um die Glaubensübertritte von Katholiken und die Säkularisierung kirchlichen Besitzes zu stoppen. Canisius‘ Kritik an den katholischen Bischöfen unterstrich das Versagen der Kirchenführung sowie die Notwendigkeit der Unterstützung von außen. Canisius und Morone erkannten zudem die zentrale Rolle des deutschen Adels bei der Kirchenverwaltung im Reich.

Die weitreichende Anziehungskraft des wiederauflebenden Katholizismus wird durch die Mobilisierung der Frauen für die Sache deutlich. Sie strebten danach, „Jesuitinnen“ zu werden, indem sie Gott und der Kirche durch ein tätiges Leben dienten. Eine solche, der Hl. Ursula gewidmete Gemeinschaft entstand in Köln in den späten Jahren des 16. Jahrhunderts. Sie erhielt Unterstützung durch einige englische weibliche Katholiken unter der Führung von Mary Ward (1585-1645) aus Yorkshire. Als die „englischen Fräulein“ zehn Jahre später auf eine Gemeinschaft von 60 Frauen angewachsen waren, reiste Mary Ward nach Rom, um sich die Ordensregeln durch den Papst bestätigen zu lassen. Nachdem sie dort abgewiesen wurde, suchten sie und ihre Anhängerinnen die Unterstützung des Reiches und erhielten Finanzierung für die von ihnen gegründeten Mädchenschulen sowohl auf herzoglicher (in München) als auch auf Reichsebene (in Wien und Prag). Ungeachtet ihres religiösen Eifers fielen die „englischen Fräulein“ schließlich jedoch althergebrachten Vorurteilen sowie der Vorschrift des Konzils von Trient über die Klausur weiblicher Ordensmitglieder zum Opfer.

Die Gegenreformation – das Zurückgewinnen ganzer Territorien für die katholische Kirche – hing von der engen Zusammenarbeit zwischen weltlichen und kirchlichen Herrschern und den Kirchenreformern ab. Auf die größten Schwierigkeiten stieß dieses Anliegen wohl in den fünf östlichen Herzogtümern Österreichs. Eine Ausnahme stellte Tirol dar, wo der Landadel größtenteils zum neuen Glauben übergetreten war und die Duldung seitens der Habsburger ausgehandelt hatte. In einigen Regionen gab der örtliche protestantische Adel dieses Privileg (illegal) an Stadt und Bürger weiter. Die Zurückgewinnung dieser Territorien machte zuerst das Untergraben der Protestanten durch einen Angriff auf die durch den Adel gewährten Freiheiten sowie die lutherischen Glaubenspraktiken notwendig und anschließend eine enorme Bekehrungsmission durch einen gebildeten, disziplinierten Apparat des katholischen Klerus. Der Großteil des Letzteren musste aus benachbarten Ländern rekrutiert werden. In Innerösterreich begann die katholische Reform unter bayrischer Anleitung 1579 in München mit einer Beratung zwischen Erzherzog Karl (reg. 1564-90), dessen Bruder, Ferdinand von Tirol, und deren Gastgeber Herzog Wilhelm V. von Bayern. Die drei waren sich einig, dass der Schlüssel des Problems darin lag, das laut des Religionsfriedens unantastbare Recht der Habsbuger zur Einforderung der Glaubenskonformität in ihren Gebieten durchzusetzen. Ein Jahr später begann Karl eine Kampagne mit dem Ziel, die institutionelle Struktur des protestantischen Adels in Innerösterreich zu zerstören und deren Gebiete wieder unter katholische Herrschaft zu bringen.

Gemeinden mit gemischter Religionszugehörigkeit konnten, wenn Eingriffe von außen unterblieben, manchmal eine Einigung finden, die sowohl die religiösen Bedürfnisse zufriedenstellte als auch den öffentlichen Frieden wahrte. Nach 1531 wurden Glaubenskonflikte innerhalb der Schweizer Konföderation durch Verhandlungen gelöst, wenngleich wie auch im Reich nur volle Mitglieder der Konföderation die Konformität erzwingen konnten. Es gab jedoch auch wahre convivencia in den verbündeten Republiken, insbesondere in Graubünden. In einer Wahl der vier Dörfer nahe Chur in den 1550er Jahren entschieden sich drei für die Beibehaltung des katholischen Glaubens und eines für den reformierten. Abweichler besuchten den Gottesdienst in einem Dorf ihres Glaubens bis etwa 1600, als stärkere reformierte Minderheiten die Benutzung oder sogar Verwaltung ihrer Dorfkirchen forderten. Die Spannungen wuchsen bis 1616, als das formal katholische Dorf Zizers sich dem Problem stellte. Beide Parteien einigten sich auf die gemeinsame Nutzung der Dorfkirche und stellten so den Frieden in der Gemeinde wieder her. Je beliebter das örtliche Regime war, desto weniger Gewalt entstand in der Regel bei Glaubenskonflikten.

Die Art der Herstellung des Religionsfriedens im Reich variierte ebenso sehr wie die Regierungsformen in dessen unterschiedlichen Teilen. So hatte der Augsburger Religionsfrieden keine Gültigkeit im Königreich Böhmen, welches (nach 1527) dem gleichen Monarchen unterstand wie das Reich insgesamt. Die religiöse Lage in Böhmen wurde durch eine breite konfessionelle Vielfalt erschwert: Katholiken, zwei von den Hussiten abstammende Gemeinden, Utraquisten und die böhmische Bruderschaft (die sich zu politischen Zwecken vereinten), sowie lutherische und reformierte Protestanten. Die durch den Adel dominerten böhmischen Stände schirmten die andersgläubigen Adligen und Städte von ihrem König ab. Ab etwa 1605 kam es zu Spannungen zwischen Kaiser Rudolf II. und seinem ältesten Bruder Matthias. Dieser verbündete sich mit den überwiegend protestantischen Ständen der habsburgisch regierten Länder – Ungarn, Böhmen, Mähren, sowie Ober- und Niederösterreich, und zwang Rudolf, jene Länder abzutreten und ihn als zukünftigen Kaiser anzuerkennen. Die böhmischen Stände wiederum pressten dem Kaiser das Versprechen eines allgemeinen Toleranzedikts ab. Der im Sommer 1609 in Form eines Edikts verfasste „Majestätsbrief“ garantierte dem Bund aus Utraquisten und Bruderschaft sowie den beiden protestantischen Konfessionen, die Rudolf beharrlich als „Utraquisten“ bezeichnete, die Glaubensfreiheit. Am selben Tag fanden die Oberhäupter der katholischen und protestantischen Stände zu einer Einigung. Diese Dokumente blieben im Prinzip in Kraft bis 1627, als die katholischen Siege während des Dreißigjährigen Krieges den König-Kaiser dazu veranlassten, eine stark katholisch und royalistisch geprägte böhmische Verfassung zu erlassen.


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