Eine Bestandsgarantie durch Großbritannien und Frankreich für den tschechoslowakischen Reststaat konnte ein weiteres deutsches Vordringen nicht verhindern: am 15. März 1939 annektierte Deutschland Böhmen und Mähren. Gleichzeitig errichteten slowakische Politiker einen halb-unabhängigen Staat unter deutschem „Schutz“. So verschwand die Tschechoslowakei, und Deutschland erhielt eine weitere Basis, von der aus es einen zukünftigen Angriff auf Polen führen konnte.
Kurz nach der deutschen Besetzung Böhmens und Mährens schloss General Franz Halder (1884-1972), seit 1938 Generalstabschef des Heeres, beunruhigende Schlüsse über die Ausmaße des kommenden Krieges und die potenziellen Risiken, die er für Deutschland barg. Halder hatte Verbindungen zur militärischen Opposition und brachte in einem vertraulichen Gespräch mit Raymond H. Geist, dem amerikanischen Konsul in Berlin, im April 1939 einige seiner Bedenken zum Ausdruck. Geist schloss richtig, dass die deutsche Wehrmacht der Richtung folgen würde, die Hitler bestimmte, selbst wenn dies einen Zweifrontenkrieg mit amerikanischer Beteiligung bedeuten sollte.
Hitlers diplomatische Vorbereitungen auf einen Krieg gegen Polen wurden von einem überraschenden Schritt gekrönt. Nach einer Weile vorsichtiger Signale zwischen Deutschland und der Sowjetunion flog Ribbentrop nach Moskau, um seinen sowjetischen Amtskollegen, Außenminister Wjatscheslaw Molotow zu treffen. Die beiden einigten sich auf die Bedingungen des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes, unterzeichnet am 23. August 1939. Oberflächlich betrachtet, schützte der Pakt Deutschland vor der Möglichkeit eines Zwei-Fronten-Krieges. Ribbentrop und Molotow verständigten sich darauf, dass die Sowjetunion im Fall eines deutschen Angriffs auf Polen nicht zugunsten Polens intervenieren würde. Daraus folgte, dass Deutschland lediglich an einer Front im Westen zu kämpfen hätte, falls Großbritannien und Frankreich wegen der Invasion in den Krieg eintreten würden. Hinter dem Vertrag steckte allerdings noch mehr: ein geheimes Zusatzprotokoll teilte nicht nur Polen, sondern auch den größten Teil Osteuropas in deutsche und sowjetische Einflussbereiche auf und ebnete so den Weg für spätere Gebietsveränderungen.
Am Tag bevor der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet wurde, sprach Hitler erneut mit militärischen Befehlshabern, wobei er die Notwendigkeit eines Krieges rechtfertigte und den Charakter des bevorstehenden Konfliktes spezifizierte. Es wurde kein offizielles Protokoll angefertigt, doch verschiedene Teilnehmer machten Aufzeichnungen und diese sind verwendet worden, um Hitlers Ausführungen zu rekonstruieren. Hitler ahnte richtig voraus, dass Großbritannien und Frankreich nicht in der Lage oder gewillt sein würden, zugunsten Polens wirksam zu intervenieren, auch wenn sie sich offiziell dazu verpflichtet hatten. Seine Anmerkungen über die Notwendigkeit, mit Brutalität vorzugehen, mögen tatsächlich weiter gegangen sein, als diese Rekonstruktion nahelegt: eine andere, vermutlich dramatisierte Version der Rede ließ ihn ausrufen: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ (29)
(29) Winfried Baumgart, „Zur Ansprache Hitlers vor den Führern der Wehrmacht am 22. August 1939; eine quellenkritische Untersuchung,“ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 16 (1968): 120-49.
Seite 25