GHDI logo


Definition und Abgrenzung – Konrad Grebel und Andere an Thomas Müntzer (5. September 1524)

Der frühe Schweizer Täufer Konrad Grebel (ca. 1498-1526) und einige andere „Schweizer Brüder“ schrieben den folgenden Brief an Thomas Müntzer, einen thüringischen Revolutionär und Veteran der Wittenberger Reformation. Ob der Brief jemals beim Adressaten ankam, ist nicht bekannt, allerdings bietet der Text Einblick in das Wirken der Täufer in der Schweiz. Grebel beabsichtigte, Grenzen zwischen seiner Bewegung und zukünftigen Gruppierungen festzulegen, welche eine stärker aktivistische Ausrichtung haben könnten. Die drei bestimmenden Elemente in Grebels Lehre und Praxis waren: Trennung von den etablierten Kirchen, die Ablehnung der fürstlichen Intervention in das religiöse Leben und die Gewaltlosigkeit. Im 20. Jahrhundert betonten Historiker der Täuferbewegung besonders den Pazifismus der Schweizer Brüder und betonten dessen Unterschied zur revolutionären Tradition Thomas Müntzers bis hin zum 1534 in Münster gegründeten Königreich der Täufer.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 5


Dem warhaftigen und getrüwen verkündiger deß evangelii Tomae Müntzer zů Altstett am Hartz, unserem getrüwen und lieben mitbrůder in Christo etc.

Frid, gnad und barmhertzikeit von Gott unßerem vatter und Jesu Christo unserem herren sy mit unß allen, Amen. Lieber bruder Toman, lass dich umb Gotz willen nit wunderen, dass wir dich ansprechend on titel und wie ein brůder ursachend hinfür mit unß zehandlen durch gschrift, und daß wir ungeforderet und dir unbekant habend gedörfen ein gmein künftig gsprech ufrichten. Gottes sun Jesus Christus, der sich aller deren, die do selig werden söllend, einigen meister und houpt dar bütt und unß brüdere heißt sin durch daß einig gmein wort allen brüderen und gleubigen, hand unß getriben und betzwungen früntschaft und brůderschaft ze machen und nachgende artikel antzetzeigen. Zů dem hat unß ouch din schriben zweier büchlinen von dem erdichten glouben geursacht. Darumb so wellist eß im besten verstan umb Christi unsers heilands willen, sol unß, ob Got wil, zů gůtem dienen und würken werden, Amen.

Wie nach dem unßere altforderen von dem waren Got und erkantnuß Jesu Christi und deß rechtgschafnen gloubens in in und von dem waren einigen gmeinen götlichen wort, von den götlichen brüchen, christenlicher liebe und wäsen abgefallen sind, on Got, gsatz und evangelio in menschlichen unnützen unchristlichen brüchen und ceremonien gelebt und darinn selikeit ze erlangen vermeint habend und aber wit gefelt worden ist, wie daß die ewangelischen prediger antzeigt habend und noch antzeigend zum teil: also ouch jetzund wil iederman in glichsendem glauben selig werden, on frücht deß gloubens, on touff der versůchung und probierung, on liebe und hoffnung, on rechte christenliche brüch, und beliben in allem altem wäsen eigner lasteren und gmeinen ceremonischen endkristlichen brüchen touff und nachtmal Christi, in verachtung deß götlichen worts, in achtung deß bepstlichen und deß worteß der widerbepstlichen prediger, so ouch dem götlichen nit glich und gmeß ist; in ansechung der personen und allerley verfürung wirt schwarlicher und schädlicher geirret dann von anfang der welt ie geschechen sy. In semlicher irrung sind ouch wir gewäsen, die wil wir allein zůhörer und läser warend der evangelischen predigeren, welche an disem allem schuldig sind, uß verdienst unserer sünden. Nach dem wir aber die gschrift ouch zehand genommen habend und von allerley artiklen besechen, sind wir etwaß bericht worden und habend den großen und schädlichen mangel der hirten, ouch unseren erfunden, daß wir Got nit täglich ernstlich mit stettem sünftzen bittend, daß wir uß der zerstörung alleß götlichen wäsens und uß menschlichen grewlen gefürt werdind, in rechten glouben und brüch Gottes kummind. In semlichem allem bringt daß faltsch schonen, die verschwigung und vermischung deß götlichen wortes mit dem menschlichen. Ja, sprechend wir, eß bringt allen schaden und macht alle götliche ding hinderstellig, bedarf nit underscheidens und ertzellens.

In dem so wir semlichs merkend und beklagend, wirt zů unß heruß gebracht din schriben wider den falschen glouben und touff, sind wir nach baß bericht worden und befestet und unß wunderbarlich erfreuwt, daß wir einen funden habend, der einß gmeinen christenlichen verstands mit unß sy und den evangelischen predigeren iren mangel antzeigen dörfe, wie sy in allen houpt artiklen falsch schonind und handlind und eigens gůt dunken, ja ouch deß endkristen über Gott und wider Gott setzind, nit wie gesanten von Gott ze handlen und predigen zůstat. Darumb so bittend und ermanend wir dich alß ein brůder by dem namen, kraft, wort, geist und heil, so allen christen durch Jesum Christum unßeren meyster und seligmacher begegnet, wellist dich ernstlich flissen, allein götlichs wort unerschroken predigen, allein götliche brüch uffrichten und schirmen, allein gůtt und recht schetzen, daß in heiterer clarer gschrift erfunden mag werden, alle anschläg, wort, brüch und gůtdunken aller menschen, ouch din selbß, verwerfen, hassen und verflüchen.

Wir verstand und hand gesehen, daß du die meß vertütschet hast und nüwe tütsche gsang uffgericht*. Mag nit gůt sin, wann wir findet in dem nüwen Testament kein ler von singen, kein bispil. Paulus schilt die Corinthischen gelerten me dann er sy rüme, darumb daß sy in der gmein murmletend, glich alß ob sy sungind, wie die Juden und Itali ire ding pronuncierend in gsangs wiß. Zum andren, die wil daß gsang in latinischer sprach on götliche ler und apostolisches bispil und bruch erwachsen ist und nüt gůtz gebracht nach gebuwen hat, wirt eß nach fil minder buwen in tütsch und ein usserlichen schinenden glouben machen. Zum dritten: so doch Paulus gar nach heiter daß gsang verbütt im 5. zun Ephesieren und im 3. zun Colosseren, die wil er sagt und lert, man söll sich bereden und ein andren underrichten mit psalmen und geistlichen liederen und, so man singen well, sol man im hertzen singen und danksagen. Zum 4., waß wir nit gelert werdend mit claren sprüchen und bispilen, sol unß alß wol verbotten sin, als stünd eß gschriben: daß tů nit, sing nit. Zum 5. Christus heißt sine botten allein daß wort uß predigen in altem gar nach und nüwem Testament, Pauluß ouch also, daß die red Christi, nit gsang under unß wone; der übel singt, hat ein verdruß, der eß wol kan, ein hoffart. Zum 6., sol man nit tůn, waß unß gůt dunkt, zů dem wort und darvon nüt setzen. Zum 7., wilt du die meß abtůn, můsz nit mit tütschen gsang geschechen, daß din ratschlag fillicht oder von dem Luther her ist. [8.] Sy můß mit dem wort und uffsatz Christi uß gerüttet werdend. 9. dann sy ist nit von Got gepflantzet.


* Der Absender kannte also wohl die drei liturgischen Schriften Müntzers. [Alle Fußnoten stammen aus: Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, herausgegeben von Leonard von Muralt und Walter Schmid. Band 1. S. Hirzel Verlag: Zürich, 1952, S. 13-19.]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite