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Dokumente - Neue Ost- und Deutschlandpolitik

Nach dem Mauerbau im August 1961 brach über die deutsch-deutschen Beziehungen eine Eiszeit herein (Kapitel 1). Wie man die innerdeutsche Grenze durchlässiger und damit menschlicher machen konnte, war das Anliegen des SPD-Politikers Egon Bahr, dessen Idee vom „Wandel durch Annäherung“ sich langsam durchsetzte und zum Grundpfeiler veränderter Beziehungen zu den kommunistischen Staaten im Allgemeinen und der DDR im Besonderen wurde (Dok. 1). Als Folge vereinzelter Passierscheinregelungen war es West-Berliner Bürgern zwischen 1963 und 1966 an einzelnen Tagen möglich, Verwandte im Ostteil der Stadt zu besuchen (Dok. 2). Langsam kam Bewegung in die Ostpolitik; neue Denkanstöße aus kirchlichen Kreisen wurden diskutiert und eine Verbesserung der Beziehungen zu einzelnen osteuropäischen Staaten in die Wege geleitet (Dok. 3), jedoch blieben die deutsch-deutschen Beziehungen festgefahren. Die DDR beharrte auf formeller völkerrechtlicher Anerkennung und die Bundesrepublik auf ihrem Alleinvertretungsanspruch. Dieser manifestierte sich politisch in der Hallstein-Doktrin, die die internationale Anerkennung der DDR durch Drittstaaten verhindern sollte. Als jedoch mehr und mehr Staaten der Dritten Welt die DDR völkerrechtlich anerkannten, geriet die westdeutsche Außenpolitik unter Druck. Noch vor Ende der Großen Koalition, aber im heftigen Schlagaustausch zwischen den Parteien, führte dies zu einer Modifizierung der Doktrin (Dok. 4).

Der Durchbruch in den Beziehungen zum Ostblock und zur DDR gelang erst mit dem Regierungswechsel zu Bundeskanzler Willy Brandt. In seiner Regierungserklärung erkannte der Kanzler der sozialliberalen Koalition mit dem Hinweis auf „zwei Staaten einer Nation“ die DDR de facto erstmals nach 1949 an (Dok. 5), unterstrich aber das Weiterbestehen einer deutschen Nation und hielt damit den Wiedervereinigungsanspruch weiter aufrecht.

Voraussetzung einer Annäherung in den innerdeutschen Beziehungen war eine neue Politik gegenüber der Sowjetunion durch die Anerkennung der Nachkriegsgrenzen von 1945. Binnen eines Jahres wurden Verträge mit der Sowjetunion (Dok. 7) und Polen verhandelt. Die Bundesregierung verknüpfte deren Ratifizierung mit Fortschritten in der Berlin-Frage. Das Viermächte-Berlin-Abkommen (Dok. 8) brachte unter anderem Erleichterungen im Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin und im Besucherverkehr innerhalb Berlins, betonte aber nach wie vor den Sonderstatus der geteilten Stadt.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Willy Brandt im Jahre 1971 würdigte seinen Beitrag zur europäischen Entspannung auf internationaler Bühne, doch innenpolitisch griffen Gegner aus den Reihen von CDU/CSU seine „Verzichtpolitik“ heftig an. Als einzelne Abgeordnete aus dem Regierungslager aus Widerstand gegen die Verträge zur CDU/CSU übertraten, verlor die Regierung die Mehrheit. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde 1972 von der CDU/CSU ein konstruktives Misstrauensvotum im Deutschen Bundestag eingeleitet, das mit zwei Stimmen Mehrheit denkbar knapp abgelehnt wurde (Dok. 9). Eine Neuwahl, die durch die Vertrauensfrage noch im gleichen Jahr vorangebracht wurde, bestätigte jedoch den Regierungskurs. Zwischen den Parteien nicht weniger strittig war der Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten, der 1972 unterzeichnet wurde. Auch der Gang zum Bundesverfassungsgericht konnte die Inkraftsetzung des Grundlagenvertrages nicht verhindern (Dok. 10 und Dok. 11). Der Vertrag beendete endgültig die internationale Isolierung der DDR. Im Jahr 1973 wurden beide deutsche Staaten Mitglied der Vereinten Nationen und damit auch international als zwei getrennte deutsche Staaten anerkannt (Dok. 12).

Das Verhältnis zur Bundesrepublik löste auch in der DDR innere Kontroversen aus. Dass ein Ende der internationalen Isolierung mit potenziellen Gefahren verbunden war, zeigte nicht zuletzt der Besuch Willy Brandts in Erfurt, wo er von DDR-Bürgern bejubelt wurde (Dok. 6). Uneinigkeiten in der DDR-Führung zur Deutschland-Frage waren ein Grund für die Absetzung Walter Ulbrichts, und die Hoffnungen auf ein Tauwetter in den deutsch-deutschen Beziehungen wurden von Erich Honecker auf dem VIII. Parteitag der SED zunächst mit dem Hinweis auf eine verstärkte Abgrenzungspolitik gegenüber der Bundesrepublik beantwortet (Kapitel 1). Doch konnte sich Honecker der von den Großmächten USA und Sowjetunion betriebenen europäischen Entspannungspolitik nicht entziehen. Sie erforderte von der SED im deutsch-deutschen Verhältnis einen Balanceakt zwischen Abgrenzung und Kooperation, wobei gerade letztere Hoffnungen weckte und den Druck auf das SED-Regime verstärkte.

Der Grundlagenvertrag wurde zum Eckpfeiler der deutsch-deutschen Beziehungen, in dessen Folge eine Reihe weiterer Abkommen zwischen beiden deutschen Staaten unterzeichnet wurden, die von Wirtschaftsfragen bis zum Umweltschutz reichten und vor allem die Grenze durchlässiger machten. Jugend- und Sportaustausch wurde in die Wege geleitet und kulturelle Fragen verhandelt. Der Reiseverkehr nahm zu, auch wenn er – mit Ausnahme von DDR-Rentnern – vorwiegend auf westdeutsche Bürger und West-Berliner beschränkt blieb und diese den wechselnden SED-Forderungen nach einem täglichen Mindestumtausch an DM ausgesetzt waren, um so die Staatskassen der DDR mit harter Währung zu versorgen. Trotz Stasi-Schikanen und der Gefahr der Inhaftierung reichten immer mehr DDR-Bürger einen Ausreiseantrag ein (Dok. 13 und Dok. 15), was zu Unruhe in Parteikreisen führte (Dok. 14).

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