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Dokumente - Die Herausforderungen der Immigration

Der Zustrom von ausländischen Arbeitern nach Westdeutschland war im Wesentlichen eine Folge des Mauerbaus, da dieser die Zuwanderung von Arbeitswilligen aus der DDR unterband. Um die boomende Industrie mit Arbeitskräften zu versorgen, aktualisierte die Bundesregierung bestehende Abkommen und schloss eine Reihe von neuen „Gastarbeiter-Verträgen“ mit Italien, der Türkei und anderen weniger weit entwickelten südeuropäischen Staaten. Dadurch trug sie zum Abbau der dortigen Unterbeschäftigung bei (Dok. 1). Diese eigens angeworbenen ausländischen Arbeiter wurden „Gastarbeiter“ genannt, da man davon ausging, dass sie nur für eine gewisse Zeit in Deutschland arbeiten, dann aber wieder nach Hause zurückkehren und durch neue Gastarbeiter ersetzt würden (Dok. 2). Dieses Rotationsprinzip funktionierte, solange die Wirtschaft expandierte. Als das Wirtschaftswachstum jedoch nachließ und es infolge des steilen Anstiegs des Ölpreises nach 1973 zu Massenarbeitslosigkeit kam, erließ die Bundesregierung einen „Anwerbestopp“ (Dok. 3). Zwar nahmen einige Gastarbeiter die finanziellen Rückkehrhilfen in Anspruch (Dok. 5), die Mehrheit entschied sich jedoch, zu bleiben – und machte dadurch aus ihrer kurzfristigen Anwesenheit zu Arbeitszwecken eine Einwanderung auf Dauer. Dennoch weigerte sich die Bundesrepublik, sich selbst als „Einwanderungsland“ zu definieren, da die Deutschen sich aufgrund einer langen Tradition in erster Linie selbst als Auswandererland ansahen.

Mit der Ankunft von hunderttausenden von Gastarbeitern bildete sich allmählich eine Subkultur der aus dem Mittelmeerraum stammenden Einwohner heraus, die in Großstädten und industriellen Ballungsräumen zu Ghetto-ähnlichen Strukturen führte. Tatsächlich hatte der Anwerbestopp einen gegenteiligen Effekt: Da viele Gastarbeiter befürchteten, nicht mehr in die Bundesrepublik einreisen zu können, wenn sie sie erst einmal verlassen hatten, brachten sie ihre Familien ebenfalls ins Land und ließen sich endgültig nieder (Dok. 4). Die Schulen waren auf den Zustrom nicht-deutschsprachiger Kinder nicht vorbereitet und außerstande, eine Integrationsstrategie zu entwickeln, da die Behörden darauf bestanden, die ausländischen Kinder auf eine eventuelle Rückkehr in ihre Heimatländer vorzubereiten. Die Folge war, dass frustrierte Jugendliche, die sich zwischen zwei Kulturen selbst überlassen waren, oft gewalttätig wurden (Dok. 6). Insbesondere türkische Frauen fühlten sich ausgegrenzt, weil sie weniger deutsch als ihre Männer am Arbeitsplatz lernten und nach traditionellen islamischen Sitten in einem Land leben mussten, in dem die einheimischen Frauen immer emanzipierter wurden (Dok. 10). Nur eine Minderheit der Jugendlichen war in der Schule erfolgreich und fing an, neue hybride Formen einer türkisch-deutschen Identität zu entwickeln (Dok. 13).

Vor allem rechte Politiker schürten Fremdenfeindlichkeit, um die Furcht unter den deutschen Arbeitslosen vor einem Wettbewerb um Sozialleistungen auszunutzen, und behaupteten, das Land würde von ausländischen Kriminellen überflutet (Dok. 7). Von einer beträchtlichen Zahl fremdenfeindlicher Erwachsener aufgestachelt, unternahm eine militante Minderheit jugendlicher Neo-Nazis zunehmend gewalttätige Angriffe auf Ausländer (Dok. 11). Das sozialliberale Kabinett warnte deswegen vor rassistischer Arroganz und richtete den Posten eines speziellen Regierungsbeauftragten für im Ausland geborene Einwohner ein, der ihren Sorgen eine Stimme verleihen sollte (Dok. 8). Aber auch konservative Professoren bestärkten die Bevölkerung in ihrer Furcht vor den negativen Folgen anhaltender Einwanderung (Dok. 12). Obwohl die Zahl ausländischer Arbeiter, besonders aus Vietnam (Dok. 9), in der DDR verschwindend gering war, gab es dort eine vergleichbare fremdenfeindliche Stimmung aufgrund des Verteilungskampfs um die wenigen Konsumgüter (Dok. 15). In der Bundesrepublik erwiesen sich die Politiker vor 1989 als unfähig, in der Frage von Immigration und Integration zu einem Kompromiss zu kommen, da die Linke im Allgemeinen für internationale Offenheit und Multikulturalismus eintrat, während die Rechte auf der Rückkehr der Ausländer bestand und zugleich den Zustrom von weiteren Fremden beschränkte (Dok. 14). Unbeeindruckt von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und politischer Unentschiedenheit bildete sich eine beträchtliche ausländische Bevölkerungsgruppe im Land heraus – und blieb dort (Dok. 16).

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