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Wilhelm Groener über den Ebert-Groener Pakt (Rückblick 1957)



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In den ersten Tagen nach Eintreffen in Wilhelmshöhe hatte ich eine nächtliche Unterredung im Hause des Oberpräsidenten v. Windheim mit dem Reichstagspräsidenten Fehrenbach, den ich zu einer Rücksprache mit der Heeresleitung gebeten hatte. Ich fragte ihn, ob er in der Lage sei, den Reichstag einzuberufen, damit wenigstens eine legale Institution vorhanden war, die die bürgerlichen Stimmen gegen die radikalen zur Geltung brachte. Wir dachten natürlich nicht an Berlin als Ort des Zusammentritts, sondern hätten Kassel am liebsten gesehen, wohin man im Falle des Gelingens auch Ebert kommen lassen konnte. Aber Fehrenbach erklärte jede Einschaltung des Reichstags für unmöglich; es gäbe höchstens ein Rumpfparlament, und er fürchte, daß nicht einmal die Rechtsparteien erscheinen würden. Der Reichstag sei eben ein verbrauchtes Instrument.

So hatte unsere ganze Aufmerksamkeit dem heimkehrenden Heer und der Art seiner Verwendung gegen die Revolution — d. h. gegen die von Unabhängigen und Spartakus drohenden Gefahren — zu gelten.

In den allerersten Tagen nach dem 9./10. November hatten wir uns in der O.H.L. in dem Traum gewiegt, daß wir genügend zuverlässige Truppen haben würden, um einen Grenzschutz am Rhein aufzubauen. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die in vollster Ordnung zurückmarschierenden Truppen blieben in der Hand ihrer Führer bis zu dem Augenblick, da sie am Rhein in die revolutionäre Atmosphäre eintraten; von da ab war kein Halten mehr. Die von der Heeresleitung an die Marschstraßen ausgesandten „Serumspritzer“, tüchtige, geschickte Offiziere, die die Truppen gegen den Geist der Revolution immun machen sollten, hatten keinen wesentlichen Erfolg. Es gab Regimenter, die während des Rückmarsches sich vornahmen, sobald sie in ihren Garnisonen wären, den Revolutionären, besonders den Matrosen, den Garaus zu machen; wenn sie aber in den Kasernen waren, wurden alle diese guten Vorsätze vergessen und der Einfluß der Offiziere war dahin. So schnell wie möglich entlassen zu werden, war der Wunsch jedes einzelnen. Die Sorge um Haus und Hof, um die Familie überwog den vaterländischen Gedanken. Manche Divisionen konnten es kaum erwarten, bis sie auf die Eisenbahn verladen wurden*.

So blieb nur die Aufstellung einer Freiwilligen-Armee, die allein den Kampf gegen die städtischen Arbeitermassen aufnehmen konnte. Ich habe mich schon in Spa mit diesem Gedanken getragen, aber man hatte sich damals noch nicht an ihn gewöhnen können und hoffte noch auf die Verwendungsfähigkeit des aktiven Heeres. In Wilhelmshöhe wurde nun der Plan wieder aufgegriffen und im Einverständnis mit Ebert unter der Decke weiterentwickelt.

Ehe diese Freiwilligentruppen in Erscheinung traten, hatten wir erst eine schwere Schlappe einzustecken, die die Untauglichkeit der noch bestehenden Feldheerteile erwies.

Es war von entscheidender Bedeutung, wer von den sich befehdenden sozialistischen Gruppen Herr von Berlin war. Zusammen mit Ebert bereiteten wir den „Einzug“ von zehn Divisionen nach Berlin vor, um seine Regierung fest in den Sattel zu setzen. Einer meiner besten Mitarbeiter, Major v. Harbou, traf die Vorbereitungen, zum Führer der Truppen wurde General Lequis bestimmt. Aber der Berliner „Vollzugsausschuß“** war voll Mißtrauen und verlangte, daß die Truppen ohne Munition einzögen. Die O.H.L. mußte erst Ebert energisch den Rücken steifen, damit er sich diesem Ansinnen widersetzte. In diesem Zusammenhang wandte sich Hindenburg zum ersten Mal persönlich mit einem von mir entworfenen Brief an Ebert, in dem er ihm nochmals darlegte, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen er und das Offizierskorps sich zur Verfügung gestellt hatten, und in dem er ihn auf die von ihm (Ebert) übernommene nationale Verantwortung hinwies. In diesem Brief heißt es: „Wenn ich mich mit nachstehenden Zeilen an Sie wende, so tue ich dies, weil mir berichtet wird, daß auch Sie als treuer deutscher Mann Ihr Vaterland über alles lieben unter Hintanstellung persönlicher Meinungen und Wünsche, wie auch ich es habe tun müssen, um der Not des Vaterlandes gerecht zu werden. In diesem Sinne habe ich mich mit Ihnen verbündet zur Rettung unseres Volkes vor dem drohenden Zusammenbruch.“ Das Offizierskorps habe sich der Regierung zur Verfügung gestellt, es könne und müsse dafür verlangen, daß ihm die Unterstützung zuteil werde gegen die unerhörten Übergriffe der heimischen A. u. S.-Räte. „Es liegt auf der Hand, daß wir aus diesen Zuständen nur herauskommen können, wenn die Regierung über ein Organ verfügt, das ihren Anordnungen und den bestehenden Gesetzen rücksichtslos Geltung zu verschaffen vermag. So wie die Verhältnisse liegen, kann dies Organ nur die Armee sein, und zwar eine Armee, in der schärfste Disziplin herrscht. Die Disziplin steht und fällt aber mit der Autorität der Führer und der Fernhaltung der Politik aus dem Heere. ... Soll die Armee ein brauchbares Machtmittel in der Hand der Regierung bleiben, so muß die Autorität des Offiziers sofort mit allen Mitteln wiederhergestellt und die Politik aus dem Heere entfernt werden. Dazu ist ein Erlaß der Regierung nötig, der es klar ausspricht:



* Bei letzterer sah es recht trübe aus, sie war längst ausgepumpt und die Abgabe der zahlreichen Lokomotiven und Wagen an den Feind tat das übrige, um die Leistungen der Eisenbahnen auf das niedrigste Maß herabzudrücken. Immerhin haben die Eisenbahner in diesen Wochen das Menschenmöglichste geleistet, um das Heer nach Hause zu bringen.
** Vollzugsausschuß der Berliner A. u. S. Räte unter Führung der Radikalen, der sich als eine Art Nebenregierung aufgemacht hatte.


1. Die militärische Kommandogewalt liegt allein bei den Kommandobehörden.

2. Das Vorgesetztenverhältnis des Offiziers und die damit zusammenhängenden Bestimmungen sind restlos wiederherzustellen. Besonders möchte ich hierbei auf die unbedingte Notwendigkeit der Grußpflicht hinweisen, die für die Disziplin von entscheidender Bedeutung ist. Es ist ein Unding, Disziplin zu fordern und gleichzeitig das Vorgesetztenverhältnis außer Dienst aufzuheben. Keine Armee der Erde kennt eine solche Bestimmung.

3. Die S.-Räte müssen aus der Truppe verschwinden; lediglich Vertrauensleute können bestehenbleiben, die die Vorgesetzten über die Stimmung der Mannschaften auf dem laufenden halten und deren Wünsche mit Beschwerden übermitteln. Eine Mitwirkung dieser Vertrauensräte bei der Ausübung der Befehlsgewalt ist durchaus auszuschließen. ...

In Ihre Hände ist das Schicksal des deutschen Volkes gelegt. Von Ihrem Entschluß wird es abhängen, ob das deutsche Volk noch einmal zu einem neuen Aufschwung gelangen wird. Ich bin bereit und mit mir das ganze Heer, Sie hierbei rückhaltlos zu unterstützen. ...“

Vom 10. Dezember ab zogen die Truppen in Berlin ein, aber die angestrebte Wirkung, die Stärkung der Regierung, blieb aus, weil sich das Durcheinander der Berliner Gewalten und Personen einschließlich Ebert nicht zu einer ganzen Tat aufraffen konnten. Diese mußte rasch erfolgen, denn auch die ausgesiebten Truppen des Feldheeres erlagen auf die Dauer der revolutionären Luft der Hauptstadt. Weihnachten zu Hause feiern wurde zur Parole, die Leute waren nicht mehr zu halten. Eberts für das soldatische Empfinden völlig unverständliche Verhalten am 23. Dezember, der, als er von der Volksmarine-Division des Matrosen Dorrenbach in der Reichskanzlei gefangengesetzt war, den zu seiner Befreiung anrückenden Soldaten das Schießen verbot, hat den Kampfgeist noch weiter herabgedrückt.

In der Nacht vom 23. zum 24. Dezember traf das Generalkommando Lequis die letzten Vorbereitungen zur Aushebung der Volksmarine-Division in Schloß und Marstall. Der Verlauf des 24. ist bekannt: nach anfänglichen Erfolgen wurde nachmittags durch das Anrücken großer Arbeitermassen mit Frauen und Kindern aus Richtung Alexanderplatz die Absperrung der Schloßinsel durchbrochen und der letzte Rest der Einzugsdivisionen zur Auflösung gebracht. Der Drang, an Weihnachten zu Hause zu sein, hatte sich stärker erwiesen als die militärische Disziplin. Der Einzug der Truppen war damit in seiner Wirkung endgültig mißglückt.

In die Ereignisse der Berliner Tage habe ich wenig persönlich eingegriffen; nur zweimal sah ich mich gezwungen, Ebert scharf auf die Bedingungen unseres Bündnisses hinzuweisen.

Den ersten Anlaß gab die auf dem Kongreß der A. u. S.-Räte in Berlin am 18. Dezember gegen die Offiziere verfaßte Resolution, die durchgeführt die Räteherrschaft und die völlige Auflösung der Disziplin bedeutet hätte. Die Mehrheitssozialisten ließen sich einschüchtern. Darauf antwortete die O.H.L. mit einem Telegramm, in dem Hindenburg für seine Person und mich mit sofortigem Rücktritt drohte, wenn sich die Regierung auf den Boden dieser Resolution stellte. Abends am Telephon machte ich Ebert in der schärfsten Form klar, daß die Heeresleitung mit dieser Frage stehe und falle. Ebert bat mich, nach Berlin zu kommen; ich sagte zu, um auch die letzte Möglichkeit, die Regierung Ebert zu stützen, nicht unversucht zu lassen. An die Armeeoberkommandos aber erging ein Fernschreiben des Inhalts:

„Ich erkenne die von dem Zentralrat der A. u. S.-Räte am 18. 12. 18 in Berlin gefaßte Resolution betreffend Vereinbarungen im Heerwesen, insbesondere in der Stellung von Offizier und Unteroffizier, nicht an.

Ich bin der Auffassung, daß eine solch tief in das Leben der Nation einschneidende Veränderung nicht von einer einseitigen Ständevertretung, sondern nur von der durch das ganze Volk berufenen Nationalversammlung getroffen werden kann.

Das Heer steht nach wie vor loyal zu der Regierung Ebert und erwartet von dieser, daß sie die von ihr gegebenen Zusagen über den Bestand des Heeres und Richtlinien über die Befugnisse der Vertrauensräte des Heeres weiter als maßgebend anerkennt und dadurch dem Offiziers- und Unteroffizierskorps ermöglicht, weiter Dienst zu tun.

Ich bin in diesem Sinne bei der Regierung vorstellig geworden. Es bleibt daher bei den bisher gegebenen Befehlen.“



Quelle: Wilhelm Groener, Lebenserinnerungen, Jugend, Generalstab, Weltkrieg, herausgegeben von Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1957, S. 472-75.