GHDI logo

Helmuth James Graf von Moltkes Denkschrift an Hans Wilbrandt und Alexander Rüstow über die Zustände in Deutschland sowie den Warschauer Ghettoaufstand (9. Juli 1943)

Seite 2 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Fremdarbeiter.

Die Fremdarbeiter in Deutschland stellen das schwerste Problem für die innere Sicherheit dar. In den meisten Fabriken ist bereits der Anteil von Fremdarbeitern größer als der deutschen Arbeitskräfte. Diese fremde Arbeiterschaft ist ein feindseliges Element, bis zu einem gewissen Grad unzufrieden und fast ohne Ausnahme kommunistisch in der Überzeugung sowie anscheinend geführt von kommunistischen Organisationen. (Dagegen scheint die deutsche Arbeiterschaft kaum kommunistische Neigungen zu zeigen.) Dem OKW ist bewusst, dass im Falle einer Revolution auch die Fremdarbeiter Waffen zur Verfügung haben werden, und dass ein bewaffneter Aufstand dieses zahlenmäßig mächtigen Elementes ernste, sogar entscheidende Folgen haben könnte.

Die allgemeine Lage.

Gestapo und SS sind vollständig Herren der Lage. Trotz aller Symptome einer starken Opposition gibt es keine Anzeichen dafür, dass in naher Zukunft interne Schwierigkeiten auftauchen könnten, die einen Aufstand beschleunigen oder ihm eine Chance geben würden. Die Wehrmacht geht mehr und mehr in den Dienst der Partei über, die großes Talent und psychologische Einsicht darin bewiesen hat, die einflussreichsten Generäle mit der Übereignung von riesigen Grundstücken und Rittergütern für ihre Zwecke zu gewinnen, als Zeichen für die Bewunderung „der Nation“ und Dankbarkeit für ihre militärischen Heldentaten. Dieses Vorgehen ist darauf angelegt, die Wehrmacht unvermeidlich in die Verantwortlichkeit der Partei zu verwickeln und jeglichen Frontwechsel seitens der ersteren unmöglich zu machen. Die Mehrheit der so geehrten Feldmarschälle, Generäle und hohen Offiziere sieht die Dinge nur so, wie sie sie sehen wollen, um ihren neuen Reichtum und Einfluss zu bewahren. Dies macht sie für gewisse überdeutliche Tatsachen blind; entgegen den alliierten Annahmen nutzt der größere Teil des Offizierskorps des OKW und der Wehrmacht allgemein, die in der Lage sind, sicher alliierte Radiosendungen anzuhören, diese Möglichkeit nicht. Sie haben – und das gilt auch für die niedrigeren Ränge – eine in der Geschichte der Militärkaste unerhörte Fülle an Reichtum, Überfluss und persönlicher Macht sowie Möglichkeiten zum Einsatz aller Art, von denen ein Berufssoldat sein Leben lang träumt, erhalten. Dies erklärt die Tatsache, dass die Wehrmacht, mit unwesentlichen Ausnahmen, die Partei sowie ihre Strategie und Maßnahmen unterstützt. Die Anzahl klar denkender Menschen im OKW und in den Streitkräften ist klein. Diese Gruppe ist in ihrer Ansicht sicher, dass eine völlige und ungemilderte militärische Niederlage nötig ist, um ein für alle mal den deutschen Militarismus und den Mythos der deutschen Unbesiegbarkeit im Feld zu zerstören, und um Deutschland als Nation bereit für einen dauerhaften Frieden zu machen.

Alliierte Radiosendungen.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass nur Berichte mit blanken und schnörkellosen Fakten irgendeinen Effekt auf die deutschen Hörer haben, wobei jede Übertreibung oder „Herunterspielen“ den Erfolg der ganzen Propagandaarbeit gefährdet. Sogar von Kommentaren zu den reinen Nachrichtenmeldungen sollte Abstand genommen werden, da so dem Volk selbst die Urteilsbildung überlassen bleibt – was ihm konsequent von der eigenen Propaganda vorenthalten worden ist.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite