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2. Die Vereinigungskrise
Druckfassung

Überblick   |   1. Von der Teilung zur Einheit   |   2. Die Vereinigungskrise   |   3. Normalität und Identität   |   4. Deutschland in der Welt   |   5. Der Abbau des Reformstaus   |   6. Politik im vereinten Deutschland   |   7. Übergänge: Von der Bonner zur Berliner Republik

Alle Regimewechsel sind mit einem hohen Grad an Unsicherheit verbunden, da unklar ist, wer zu den Gewinnern oder Verlierern der Transformation gehören wird. Euphorie schlägt oft schnell in Ernüchterung um; parallel dazu nimmt die Bereitschaft ab, sich politisch zu engagieren. Diese Entwicklungen gelten auch für die ehemalige DDR, obgleich die Vereinigung mit der demokratisch gefestigten und wirtschaftlich überlegenen Bundesrepublik die Folgelasten für die Bürger der ehemaligen DDR abfedern und die Bürger der alten Bundesrepublik möglichst wenig belasten sollte. Dennoch war der bereits im Frühjahr 1991 einsetzende Vereinigungsschock umfassender und langwieriger als von vielen erwartet.

Wie sollte man mit den Verantwortlichen und den Opfern des alten Regimes umgehen, die bankrotte Staatswirtschaft in eine profitable Marktwirtschaft überführen, DDR-Institutionen nach westdeutschem Muster ab- und umbauen? In allen diesen Fragen prallten die Meinungen aufeinander, wobei sich diese Unterschiede oft nur vordergründig an Ost-West-Gegensätzen festmachten. Zudem bestimmte die Dominanz Westdeutschlands in allen politisch, wirtschaftlich wie auch gesellschaftlich relevanten Fragen den Vereinigungsprozess. Das Wort von der Vereinigungskrise machte die Runde. Die antizipierte Folgenlosigkeit der Vereinigung für die alte Bundesrepublik wurde von manchen erhofft, von anderen kritisiert (14). Jedoch zeigte sich schnell, dass Deutschland als Ganzes von der Vereinigung betroffen sein würde. Politisch veränderten sich unter anderem die Parteienlandschaft und die damit verbundenen Koalitionszwänge. Die immer wieder totgesagte Nachfolgepartei der SED, die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), konnte sich binnen weniger Jahre als östliche Regionalpartei etablieren, vermeintliche und wirkliche Verlierer der Vereinigung in das politische System integrieren und westdeutsche Politiker frustrieren. Sie bekommt – nunmehr integriert in die Partei Die Linke – in den Gebieten der ehemaligen DDR regelmäßig die zweitgrößte Anzahl der Wählerstimmen.



(14) Wolf Lepenies, Folgen einer unerhörten Begebenheit. Die Deutschen nach der Vereinigung (Berlin, 1992).

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