GHDI logo

7. Regionen, Städte, Landschaften
Druckfassung

1. Staat und Regierung   |   1.A. Staatenbund oder Nationalstaat?   |   1.B. Autoritäre Herrschaft oder Verfassungsstaat?   |   1.C. Emanzipation der Juden   |   2. Parteien und Organisationen   |   3. Militär und Krieg   |   4. Wirtschaft und Arbeit   |   5. Natur und Umwelt   |   6. Geschlecht, Familie, und Generationen   |   7. Regionen, Städte, Landschaften   |   8. Religion   |   9. Literatur, Kunst, Musik   |   10. Die Kultur der Eliten und des Volkes   |   11. Wissenschaft und Bildung

Der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897) war ein genauer, wenngleich bisweilen voreingenommener Kenner von Deutschlands Regionen und seiner ländlichen und städtischen Gebiete. In dem hier vorliegenden Auszug aus seiner 1851 erschienenen Arbeit Land und Leute vertritt er den Standpunkt, dass man Deutschland in drei Regionen aufteilen könne, die jeweils von einem deutlich anderen Verhältnis zwischen Stadt und Land gekennzeichnet seien. Der Leser sollte sich jedoch bei der Lektüre des Textes immer vor Augen halten, dass Riehls sehr scharfsichtigen Beobachtungen politisch motivierte Wertvorstellungen zugrunde lagen, an erster Stelle seine Überzeugung, dass Stadt- und Landbewohner sich sehr voneinander unterschieden.

Ein zweiter Auszug aus Riehls Buch Die bürgerliche Gesellschaft aus dem Jahre 1851 beschäftigt sich mit der Fortdauer regionaler Identitäten unter der deutschen Landbevölkerung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie stammten noch aus der Zeit des alten Reiches, der Epoche bevor die Französische Revolution, die Ära Napoleons und der Wiener Kongress die Territorien der deutschen Staaten drastisch veränderten.

Ein typisches Beispiel für eine provinzielle Region ist nach Ansicht vieler Deutscher die im Südwesten Deutschlands westlich des Rheins gelegene Pfalz. Der Romanschriftsteller und Journalist August Becker (1826-1891) verfasste 1857 einen vielgelobten Reiseführer durch die Pfalz, an dessen Anfang eine allgemeine Beschreibung der Region und ihrer Einwohner steht. Für Becker sind natürliche Bedingungen wie Klima und Topographie, historische Erfahrungen, Bräuche und Sitten und soziale Praktiken die Kennzeichen einer Region. Er verweist auch auf die Bedeutung der Beziehung einer Region zu dem sie regierenden Staat (in diesem Falle dem Königreich Bayern) und zur Idee eines deutschen Nationalstaats. Beckers politische Sympathien galten den Liberalen: Der Leser kann Beckers Vorstellung von einer Region mit der seines konservativen Zeitgenossen Riehl vergleichen.

Die Jahre zwischen 1815 und 1866 waren in Deutschland keine Zeit der raschen Urbanisierung. Erst nach 1850 wuchs die Stadtbevölkerung schneller als die Gesamtbevölkerung. In den deutschen Staaten gab es kein dominierendes städtisches Zentrum, wie es Paris, London, Madrid, Lissabon, Amsterdam, Kopenhagen oder Stockholm in den anderen europäischen Ländern darstellten. Die am schnellsten wachsende deutsche Großstadt war die preußische Hauptstadt Berlin. Das 1846 verfasste Buch des Schriftstellers und Sozialisten Ernst Dronke über die Hauptstadt erregte großes Aufsehen und führte zu seiner Verhaftung durch die preußischen Behörden. Die hier ausgewählten Ausschnitte zeichnen ein Bild vom Leben in der Großstadt: Geschwindigkeit, Unmoral, Vielfalt und Anonymität machen es aus. Als Sozialist beschreibt Dronke Berlin auch als eine Stadt des expandierenden Kapitalismus und des Elends der Arbeiterklasse. Ein genauerer Blick auf seine Darstellung der Arbeiter zeigt jedoch, dass es hierbei vor allem um vorindustrielle Handwerker und von Kaufleuten abhängige Handwerksmeister geht, hingegen nur um sehr wenige Fabrikarbeiter. Das Berlin, das Dronke beschreibt, gleicht eher einer vorindustriellen europäischen Stadt des 18. Jahrhunderts als einem Industriezentrum des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie Berlin es selbst werden sollte.

Seite 20

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite