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4. Umgang mit sozialen Konflikten
Druckfassung

Überblick   |   1. Die Vertiefung der Teilung   |   2. Der Konflikt zwischen Demokratie und Dikatur   |   3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft   |   4. Umgang mit sozialen Konflikten   |   5. Verunsicherungen der Moderne   |   6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten

In den späten 1960er Jahren sahen sich beide deutsche Staaten mit dem Ausbruch unvorhergesehener sozialer Konflikte konfrontiert, die sich im Westen um den Generationenkonflikt, im Osten um die Reform des Sozialismus drehten. In der Bundesrepublik rebellierten Studenten gegen die autoritäre Elterngeneration, die überlaufenen Bildungseinrichtungen, die unterbliebene Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit und die amerikanischen Verbrechen in Vietnam. Inspiriert wurden die aufgebrachten Jugendlichen durch unorthodoxe Marxisten der Neuen Linken, anarchistische Provokateure und radikale Demokraten. Sie kopierten viele Protestformen wie die „Sit-ins“ oder die „Teach-ins“ der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und erregten durch gewaltlose Provokation der Behörden Aufsehen. Nachdem Benno Ohnesorg 1967 durch brutale Polizeigewalt zu Tode gekommen war, entstand eine Massenbewegung, doch dieser außerparlamentarischen Opposition gelang es nicht, die umstrittene Ausweitung der Notstandsbefugnisse auf die Exekutive zu verhindern. In der Folge wandten sich einige Radikale dem Terrorismus in Gestalt der „Roten Armee" Fraktion zu, der massive staatliche Reaktionen hervorrief. Die ostdeutsche Entsprechung war die Faszination junger Intellektueller mit den Bemühungen im Nachbarland Tschechoslowakei, einen Reformsozialismus zu schaffen, die mit der Niederschlagung des „Prager Frühlings" ihr Ende fanden (21).

Eine wichtige Folge des Wertewandels, der mit der kulturellen Revolution einherging, war die Entstehung einer neuen Frauenrechtsbewegung im Westen. Während eines kontroversen Treffens des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) verlangten einige Frauen, die sich nicht mehr mit Kaffeekochen begnügen wollten, eigene Rechte. Sie forderten volle Gleichberechtigung und verstanden darunter sowohl die Kontrolle über ihre eigene Sexualität in Gestalt erleichterten Zugangs zu Pille und legaler Abtreibung, als auch die Gleichbehandlung in Bildungseinrichtungen und am Arbeitsplatz. Diese modernen Frauenrechtlerinnen fühlten sich von in den USA entstandenen Theorien ermutigt, schufen ihre eigenen Organisationen, gründeten radikale Zeitschriften wie Emma und stellten ihre lesbischen Neigungen manchmal öffentlich zur Schau. Ihre Proteste waren schließlich erfolgreich und führten zu politischen Zugeständnissen, wie beispielsweise Frauenhäuser, Frauenbeauftragte in der Regierung, Quotenregelungen in Parteien und gleiche Einstellungsbedingungen. Auch die DDR rühmte sich ihrer Erfolge auf dem Gebiet der Gleichberechtigung, denn die SED gewährleistete eine umfassende Kinderbetreuung, erleichterte die Scheidung und dergleichen mehr. Diese Politik zielte jedoch darauf ab, die Frauen in die Arbeiterschaft einzubeziehen, um den anhaltenden Verlust von Arbeitskräften Richtung Westen auszugleichen und hatte die Doppelbelastung durch Arbeit und familiäre Pflichten zur Folge (22).



(21) Wolfgang Kraushaar, 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur (Hamburg, 2000); Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er Bewegung. Deutschland – Westeuropa – USA (München, 2001); Carole Fink, Philipp Gassert und Detlev Junker, Hg., 1968: The World Transformed (Cambridge, 1999).
(22) Ute Frevert, Women in German History: From Bourgeois Emancipation to Sexual Liberation (Oxford, 1989).

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