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1. Die Vertiefung der Teilung
Druckfassung

Überblick   |   1. Die Vertiefung der Teilung   |   2. Der Konflikt zwischen Demokratie und Dikatur   |   3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft   |   4. Umgang mit sozialen Konflikten   |   5. Verunsicherungen der Moderne   |   6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten

Der Bau der Mauer am 13. August 1961 besiegelte die Teilung zwischen den deutschen Staaten durch die Errichtung einer faktisch unüberwindlichen Barriere in Berlin. Da die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) nicht imstande gewesen war, eine immer größere Zahl ihrer Bürger vom Verlassen des Landes abzuhalten, sollte diese verzweifelte Maßnahme, die als „antifaschistischer Schutzwall“ dargestellt wurde, dazu dienen, das letzte Schlupfloch in der ungefähr 1200 Kilometer langen Grenze zwischen Ost und West zu stopfen. Nach ihrer Errichtung konnten die Ostdeutschen ihr Land nicht mehr verlassen, die Westdeutschen nicht mehr zu Besuch kommen: Familienbande und andere persönliche Beziehungen wurden dadurch zerrissen. Jene verzweifelten Menschen, die den „Todesstreifen“ aus Elektrozäunen, Wachhunden, Selbstschussanlagen und Betonblöcken zu durchqueren versuchten, bezahlten ihre Fluchtversuche oft mit dem Leben. Obwohl innerdeutscher Handel in geringem Umfang weiter existierte und die alliierten Soldaten nach wie vor den Checkpoint Charlie nutzen konnten, durchtrennte der Bau der Mauer auch die verbliebenen institutionellen Verbindungen, wie die gemeinsame Olympiamannschaft und die evangelische Kirche (9). Die Mauer wurde so zu dem Symbol der Teilung des europäischen Kontinents im Kalten Krieg.

Erst mit der Deutschland- und Ostpolitik, der Politik der Versöhnung der SPD/FDP-Regierung gegenüber Ostdeutschland und dem kommunistischen Osten, gelang es, die Grenze so weit aufzuweichen, daß sie für eine größere Anzahl von Menschen wieder passierbar wurde. Als Bürgermeister von Berlin hatte Willy Brandt erkannt, daß die DDR nicht in absehbarer Zeit wieder verschwinden würde und daß die Westmächte nicht bereit waren, einen Dritten Weltkrieg zu riskieren, um das kommunistische Regime zurückzudrängen. Als er 1969 Bundeskanzler wurde, verfolgte er die Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion und den östlichen, mitteleuropäischen Nachbarstaaten weiter, um damit die DDR innerhalb ihres eigenen Lagers zu isolieren, und konnte dabei mit wachsender Zustimmung der Eliten und des breiten Publikums rechnen. Obwohl der Grundlagenvertrag (1972) zwischen den beiden deutschen Staaten Ostdeutschland de facto anerkannte, behielt er sich de jure die Möglichkeit einer zukünftigen Wiedervereinigung vor. Diese „Politik der kleinen Schritte“ bot im Grunde westdeutsches Geld für ostdeutsche „humanitäre Zugeständnisse“, um die Grenze durchlässiger zu machen. Als Folge wurden politische Gefangene freigelassen, westdeutschen Verwandten wurde der Besuch im Osten wieder gestattet, und ostdeutsche Rentner durften nach Westen reisen. Auf diese Weise wurden trotz der Abschottungsversuche der SED einige zwischenmenschliche Kontakte wiederhergestellt (10).

Bis zum Sommer 1989 schien sich die Teilung des Landes noch zu vertiefen, auch wenn die wenigen verbleibenden Verbindungen verhinderten, dass sie endgültigen Charakter bekam. Das Gedenken an den Aufstand von 1953 sollte zwar das Zusammengehörigkeitsgefühl wach halten, aber während der 1980er Jahre wurde der Trend zur „Zweistaatlichkeit“ immer stärker. Auf beiden Seiten der Mauer sahen junge Leute die Teilung als Normalzustand an, die Friedensbewegung hielt die Verhinderung des Atomkriegs für wichtiger als die Wiedervereinigung, und die westdeutsche Linke propagierte die Anerkennung einer eigenen ostdeutschen Staatsbürgerschaft. Dennoch hielt die Koalition von CDU und FDP unter Helmut Kohl rhetorisch an der historischen Aufgabe der Vereinigung fest; das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen warb weiter für dieses Ziel, und das Bundesverfassungsgericht hielt den verfassungsmäßigen Auftrag der Wiedervereinigung hoch. Der Besuch Erich Honeckers in Bonn 1987 symbolisierte diese beiden Tendenzen, denn der SED-Führer wurde mit allen Ehren wie ein Staatsoberhaupt empfangen, während sein Gastgeber die deutsche Einheit beschwor (11).



(9) Hans-Herrmann Hertle, Konrad H. Jarausch und Christoph Kleßmann, Hg., Mauerbau und Mauerfall. Ursachen – Verlauf – Auswirkungen (Berlin, 2002); A. James McAdams, East Germany and Detente. Building Authority After the Wall (Cambridge und New York, 1985).
(10) Timothy Garton Ash, In Europe’s Name: Germany and the Divided Continent (New York, 1993); Mary E. Sarotte, Dealing with the Devil. East Germany, Détente, and Ostpolitik, 1969-1973 (Chapel Hill, NC, 2001).
(11) Konrad H. Jarausch, „ Nation ohne Staat. Von der Zweistaatlichkeit zur Vereinigung“, Praxis Geschichte 13 (2000), S. 6-11; A. James McAdams, Germany Divided. From the Wall to Reunification (Princeton, NJ, 1993).

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