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Überblick
Druckfassung

Überblick   |   1. Die Vertiefung der Teilung   |   2. Der Konflikt zwischen Demokratie und Dikatur   |   3. Probleme der sozialen Marktwirtschaft   |   4. Umgang mit sozialen Konflikten   |   5. Verunsicherungen der Moderne   |   6. Erfolg im Westen – Scheitern im Osten

Es ist eine Herausforderung, die verwirrende Fülle an Ereignissen seiner eigenen Gegenwart zu verstehen, handelt es sich doch dabei um eine Geschichte, deren Asche, wenn man so will, noch glüht. Zeitgenössische Beobachter haben mit erschwertem Zugang zu den Quellen zu kämpfen, müssen Entwicklungen einschätzen, bevor deren weit reichende Folgen absehbar sind und sich auf hoch politisiertem Terrain bewegen. Aber die zeitliche Nähe zum Ereignis birgt auch Vorteile, wie beispielsweise ein größeres Verständnis der unmittelbaren Konsequenzen von Ereignissen, die Möglichkeit, Schlüsselpersonen zu befragen und ein auf dem persönlichen Miterleben beruhendes tieferes Verständnis (1). Mediale Vermittlung, sowohl im Fernsehen, in Filmen als auch in Tondokumenten, die Berichte von Augenzeugen und die Erinnerungsfunktion von Museen und historischen Orten garantieren ein großes öffentliches Interesse an Ereignissen jüngeren Datums. Verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit erfordert allerdings auch besondere Anstrengungen derjenigen, die die jüngste Vergangenheit untersuchen, um die Standards wissenschaftlicher Objektivität zu erfüllen (2).

Die deutsche Zeitgeschichte stellt einen besonders schwierigen Fall dar, weil sie sich mit der „doppelten Belastung“ zweier Diktaturen befassen muss, in die Deutsche unmittelbar verstrickt waren – das Dritte Reich und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) (3). Während die sich der Linken zurechnenden Intellektuellen in erster Linie Hitlers Verbrechen betonen, um ihre antifaschistische Haltung zu legitimieren, weisen Konservative statt dessen auf die kommunistischen Schandtaten hin, um auf diese Weise ihr antikommunistisches Credo zu rechtfertigen. Ein normativer Antitotalitarismus neigt dazu, beide Diktaturen abstrakt gleichzusetzen, aber es wäre hilfreicher, die diktatorischen Herrschaftsformen konkret zu vergleichen, um ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten – beide Regime wendeten ähnliche Unterdrückungsmethoden an, aber die Mordbereitschaft der Nazis war weitaus größer. Der ostdeutschen Geheimpolizei gelang hingegen die tiefere Durchdringung des Alltagslebens ihrer Bürger (4).

Historiker der deutschen Nachkriegsgeschichte stehen ebenso vor der schwierigen Wahl der narrativen Struktur. Die Teilung in zwei rivalisierende Staaten spricht für eine getrennte Darstellung der westdeutschen Bundesrepublik, die sowohl in das NATO-Bündnis als auch in die Europäische Gemeinschaft integriert wurde, und der östlichen Deutschen Demokratischen Republik, die in den Warschauer Pakt und in den RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) eingebunden war. Da ihre jeweilige Entwicklung weitgehend durch die Zugehörigkeit zu entgegen gesetzten ideologischen Blöcken während des Kalten Krieges bestimmt war, werden sie in einem großen Teil der Literatur als deutlich von einander zu unterscheidende politische Systeme behandelt, größtenteils ohne Bezugnahme aufeinander (5). Allerdings gelingt es bei dieser starren Trennung nicht, die zahlreichen Rivalitäten und Verbindungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu berücksichtigen, die deren asymmetrische Beziehung prägten. Ein produktiverer Ansatz sollte daher einer integrierten Perspektive folgen, die sich auf die gemeinsamen Herausforderungen und die unterschiedlichen Antworten darauf in Ost und West konzentriert (6).



(1) Hans-Günter Hockerts, „Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder“, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29-30 (1993), S. 3-19; Christoph Kleßmann, „Zeitgeschichte als wissenschaftliche Aufklärung“, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51/2, (2002), S. 3-12.
(2) Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow, Hg., Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt (Frankfurt am Main, 2002).
(3) Ian Kershaw, The Nazi Dictatorship: Problems and Perspectives of Interpretation. 4. Aufl. (New York, 2000); Jeffrey Herf, Divided Memory. The Nazi Past in the Two Germanys (Cambridge, MA, 1997); Corey Ross, The East German Dictatorship: Problems and Perspectives in the Interpretation of the GDR (New York, 2002); Mary Fulbrook, Anatomy of a Dictatorship. Inside the GDR, 1949-1989 (Oxford, 1995); Anna-Sabine Ernst, „A Survey of Institutional Research on the GDR. Between ‚Investigative History’ and Solid Research: The Reorganization of Historical Studies about the Former German Democratic Republic“, Central European History 28 (1995), S. 373-395.
(4) Konrad H. Jarausch und Michael Geyer, Shattered Past: Reconstructing German Histories (Princeton, NJ, 2003).
(5) Als jüngere Beispiele s. Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart (München, 1999); und Klaus Schroeder, Der SED-Staat. Partei, Staat und Gesellschaft 1949-1990 (München, 1998).
(6) Peter Bender, Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland (München, 1996); Konrad H. Jarausch, „‚Die Teile als Ganzes erkennen’. Zur Integration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten“, Zeithistorische Forschungen 1 (2004), S. 10-30.

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