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1. Anfänge: Krieg und Revolution
Druckfassung

1. Anfänge: Krieg und Revolution   |   2. Politik und Wirtschaft   |   3. Kultur   |   4. Überblick   |   5. Weiterführende Literatur


Die Weimarer Ära war eine turbulente, energische, aufregende, chaotische, befreiende und zugleich beängstigende Periode in der deutschen Geschichte. Streng genommen dauerte sie von der Verabschiedung der Verfassung im Sommer 1919 bis zur Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933. Doch die revolutionäre Phase, die im späten Oktober 1918 mit dem Matrosenaufstand in Kiel begann und sich im Winter und Frühjahr 1919 fortsetzte, hatte bereits entscheidenden Einfluss auf die Gestalt der Republik.

Vier Jahre Krieg hatten in der deutschen Bevölkerung verheerende Spuren hinterlassen. Die enorme Zahl der an der Front Gefallenen bedeutete, dass fast jede deutsche Familie betroffen war. Ein Großteil der Bevölkerung litt an Hunger oder Mangelernährung oder an Erschöpfung aufgrund vierzehnstündiger Schichten in den Munitionsfabriken, welche die Kriegsmaschine am Leben erhalten hatten. Bereits 1916 kam es zu Streiks gegen Löhne, Arbeitszeiten und Versorgungsmängel. Im Jahr 1917 hatten die Streiks einen stärker politischen Charakter angenommen und es wurden nun auch Forderungen nach einem Kriegsende und mancherorts selbst nach der Absetzung des Kaisers laut. Frauen verursachten Unruhen auf Märkten und in den leeren Geschäften. Die Polizei drückte gelegentlich gar ihr Verständnis für sie und all jene Familien aus, denen es an Lebensmitteln und Kohle zum Heizen mangelte. Eine Kombination von Unterdrückungsmaßnahmen – z.B. die sofortige Entsendung streikender Arbeiter an die Front – und Zugeständnissen bei Löhnen und Versorgung dämmte die Situation jedoch ein. Dies sollte sich im Herbst 1918 ändern.

Im vierten Kriegsjahr nahm ein dualer Transformationsprozess seinen Lauf. Am 29. September 1918 informierte die Oberste Heeresleitung in Gestalt von Feldmarschall Paul von Hindenburg und General Erich Ludendorff Kaiser Wilhelm II. und Reichskanzler von Herling, dass Deutschland zur Fortführung des Krieges die Ressourcen fehlten. Ihrer Ansicht nach sollte das Reich um einen Waffenstillstand ersuchen und die Regierungsgewalt auf den Reichstag übertragen. Der Kaiser hielt jedoch weiterhin an der Illusion eines deutschen Sieges fest. Schließlich hielt die deutsche Armee nach wie vor große Teile Osteuropas einschließlich russischer Gebiete sowie einen Großteil Frankreichs und ganz Belgien besetzt. Im Osmanischen Reich waren die deutschen Truppen außerdem über Anatolien und den Kaukasus verteilt.

Doch letztlich musste der Kaiser gegenüber seinen Generälen, welche die bislang von ihnen selbst gehegten Siegesillusionen aufgegeben hatten, nachgeben. Am 3. Oktober 1918 wurde Prinz Max von Baden zum Reichskanzler ernannt. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte waren Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt. Der neue Reichskanzler stieß einen Reformprozess an, der eine erhebliche Demokratisierung der politischen Ordnung bedeutete. Gleichzeitig tauschte die Regierung eine Reihe von Noten mit der amerikanischen Regierung hinsichtlich der Waffenstillstandsbedingungen aus. Dabei setzte die deutsche Seite auf die Großzügigkeit der US-Regierung sowie auf Präsident Wilsons Behauptung, dass der Krieg zu einem langlebigen demokratischen Frieden führen werde. Letztlich stellte sich die amerikanische Seite allerdings als weniger großzügig heraus als Deutschland erhofft hatte.

Den zahlreichen Deutschen, welche so schwer unter dem Krieg gelitten hatten, geschah all dies jedoch nicht schnell genug, und ihre Wut richtete sich gegen jene Institutionen, welche Deutschland in den Krieg getrieben hatten: das Militär und den Adel. Einfache Soldaten und Matrosen äußerten ihren Unmut über die Privilegien, welche den Offizieren hinsichtlich Verpflegung und Quartier eingeräumt wurden. Als Matrosen in Kiel den Befehl zum Auslaufen erhielten – obwohl allgemein bekannt war, dass der Krieg seinem Ende zuging – stellten sie die Absichten der Marineleitung bei dieser sinnlosen Heldengebärde in letzter Minute in Frage. Die Matrosen meuterten und setzten damit einen revolutionären Aufstand in Gang, der sich von Kiel in Groß- und Kleinstädte überall in Deutschland ausbreitete. Die wichtigste im Rahmen der Revolution entstandene Neuerung waren die Arbeiter- und Soldatenräte. Diese demokratischen Basisorganisationen, die gegründet worden waren, um die Interessen der Arbeiter und Soldaten zu vertreten, wurden zum wichtigsten Sprachrohr für die Forderungen der allgemeinen Bevölkerung nach dem Ende des Krieges, der Einrichtung einer Demokratie, besseren Lebensbedingungen und Sozialismus. Ihre Struktur war unstet und oft chaotisch, doch gaben sie Arbeitern und Soldaten – wie auch Künstlern und vielen anderen Gruppen, die bald ihre eigenen Räte bilden sollten – ein Gefühl von Macht und Möglichkeiten sowie das Selbstbewusststein, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.



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