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2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation
Druckfassung

1. Die Konturen des Alltagslebens   |   2. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation   |   3. Macht und Herrschaft im deutschen Territorialfürstentum: Der Ständestaat   |   4. Die Gesellschaftsordnung   |   5. Das Wirtschaftsleben   |   6. Kulturelles Leben im Anschluss an den Dreißigjährigen Krieg   |   7. Die Originalität der deutschen Aufklärung   |   8. Spannungen der Spätaufklärung   |   9. Schlußbemerkungen: Drei Geisteshaltungen des Zeitalters   |   10. Kurzbibliographie zusammenfassender Werke und allgemeiner Darstellungen zur deutschen Geschichte


Der Dreißigjährige Krieg war der Kulminationspunkt in der Auseinandersetzung zwischen den katholischen und zentralistisch eingestellten Kaisern, seit alters her einer nach dem anderen aus dem österreichischen Herrscherhaus der Habsburger gewählt, und den weltlichen Territorialfürsten, vorwiegend den lutherischen Protestanten, aber auch den Calvinisten und bestimmten Katholiken (wie in Bayern), die eifersüchtig auf ihre dynastische Unabhängigkeit bedacht waren. Die Fürsten suchten ihre „Libertät“ vor reichsseitigen Eingriffen zu schützen und die Übertragung von Regierungsbefugnissen innerhalb des Reiches in ihre Hände zu fördern. Dieser Prozess hatte seit Jahrhunderten stattgefunden, doch nach der protestantischen Reformation versuchten die österreichischen Kaiser, ihn rückgängig zu machen im Namen der katholischen Orthodoxie und eigener Machtinteressen, die mit denen Spaniens verknüpft waren, wo eine Nebenlinie der Habsburger herrschte. Im Dreißigjährigen Krieg zerschlug die schwedische und französische Militärintervention zugunsten der deutschen Territorialfürsten das nahezu vollendete Vorhaben der österreichischen Kaiser, dessen Verwirklichung das Gesicht der deutschen und europäischen Geschichte verändert hätte.

Der Westfälische Friede von 1648 reorganisierte die Institutionen des Reiches, um einseitige kaiserliche Macht definitiv zu blockieren. Die Kaiser konnten ohne den Reichstag oder die Zustimmung des Reichstags keine Neuerungen erreichen. Im Jahre 1792 saßen in dieser Körperschaft nach zwischenzeitlichen Änderungen Abgeordnete aus acht Kurfürstentümern (Kurfürstenkollegium), 63 Vertreter aus 299 weiteren weltlichen Fürstentümern (weltliche Bank), 35 Delegierte aus den selbstverwalteten geistlichen Territorien (geistliche Bank) sowie 51 aus den selbstverwalteten Reichsstädten (Reichsstädtekollegium). Neue Gesetzgebung bedurfte weiterhin einer Mehrheit in jedem dieser drei Gremien. Sofern Neuerungen die Religion betrafen, gruppierten sich die Abgeordneten als Vertreter einer der oben erwähnten drei christlichen Hauptbekenntnisse um, deren Religionsausübung der Kriegsausgang in Deutschland (innerhalb gewisser Toleranzgrenzen) garantiert hatte.

Vor dem Untergang des Reiches 1806 verabschiedete der Reichstag – der seit 1663 ständig am Donauufer in der gemischt konfessionellen protestantisch-katholischen Reichsstadt Regensburg tagte – nur eine äußerst geringe Zahl an wichtigen neuen Gesetzen. Doch die Kaiser behielten eine einflussreiche Funktion durch ihren Vorsitz über die Organe der Rechtsprechung im Reich, an die sich die Hunderten von kleinen Territorialfürsten und die nahezu 1.500 Reichsritter – reichsunmittelbare Landadlige, die nur dem Kaiser direkt zu Treue verpflichtet waren – häufig zur Klärung interner und externer Konflikte wandten. Die mächtigeren deutschen Staaten (vor allem Bayern, Preußen und Sachsen) widersetzten sich der Unterordnung unter die Reichsgerichtsbarkeit.

Im späten 17. Jahrhundert versuchten die angesichts der französischen Aggression an den westlichen Reichsgrenzen bedrohten deutschen Territorien, die militärischen Aufgaben des Reiches zu stärken, die seit dem Jahr 1500 in Kreise mit mehreren Fürstentümern aufgeteilt waren. Doch die österreichischen Kaiser betrachteten solche Entwicklungen nun als eine Beschneidung ihrer eigenen Militärmacht, die in ihren Erblanden und nicht im Reich als Ganzem verankert war. Obwohl die bewaffnete Durchsetzung von Reichsrecht innerhalb des Reiches (Reichsexekution) militärisch zulässig war, erforderte sie einen Interessenabgleich zwischen den Habsburgern und den Territorialfürsten, der, soweit es die politisch schwergewichtigen Staaten betraf, niemals zustande kam. Das Reich zeigte sich nicht in der Lage, lähmende Invasionen zu verhindern, insbesondere durch die Franzosen unter Ludwig XIV. (1661-1715) und erneut im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons (1789-1815). Ebenso beugte es nicht diversen internen Kriegen vor, insbesondere den langen und blutigen Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Österreich im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) und im Siebenjährigen Krieg (1756-1763).

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